Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 597

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als Beweis zitiert er einen Artikel des bekannten Theoretikers Fleißner aus Dresden (Heiterkeit) und einen zweiten des noch bekannteren Theoretikers, des Bäckergesellen Fischer aus Weimar. (Erneute Heiterkeit.) Und wie versteht Schmidt zu zitieren? Er verliest den Satz: „Nun muß ganz naturgemäß das Streben für die Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter im heutigen Staat dazu beitragen, die Existenz dieses Staates zu verlängern, denn je wohler es den einzelnen Gliedern eines Staatswesens geht, desto weniger werden diese Glieder dafür zu haben sein, eine Änderung des Staatswesens herbeizuführen.“ Hier klappt er schnell das Buch zusammen und sagt: Ja, sehen Sie, solche Ansichten werden in der „Neuen Zeit“ verbreitet. Hier hat aber der Artikel nicht angefangen, und hier war er nicht zu Ende. Der Verfasser ging zunächst auf die damals aktuelle Frage ein, ob die Neutralität der Gewerkschaften überhaupt eine neue Erfindung, ein Rezept wäre, das erst den Gewerkschaften zu empfehlen sei, oder ob das nicht eine alte Praxis der Gewerkschaften sei. „Die Gewerkschaften“, sagte zunächst der Verfasser, „haben sich stets dagegen verwahrt, wenn irgend jemand sie als Organisationen der sozialdemokratischen Partei, als sozialdemokratische Gewerkschaften schlechtweg bezeichnete. Der Grund für diese Abwehr ist klar: Die Aufgaben der Gewerkschaft liegen auf anderem Gebiet wie die Aufgaben der Sozialdemokratie.“ Dann befürwortet der Verfasser eine Arbeitsteilung zwischen Partei und Gewerkschaften, und an den von Schmidt verlesenen Satz knüpft er den Satz an: „Will nun trotzdem die Sozialdemokratie diese Änderung durchsetzen, so muß sie in der Lage sein, überzeugend nachzuweisen, daß das von ihr erstrebte Ziel den Gewerkschaftsmitgliedern weitere Verbesserungen bringt, als sie in der heutigen Gesellschaft durch die Gewerkschaftsorganisation möglich sind.“[1] Schmidt hat also ein Zitat zur Hälfte einfach durchgeschnitten. Ich weiß nicht, ob Schmidt schon, bevor er jenen Artikel in die Hand nahm, der Überzeugung war, daß es ein Glück wäre, die „Neue Zeit“ nicht zu lesen, und daß er nur zufällig jenen aus dem ganzen Zusammenhang gerissenen Satz gelesen hat. (Heiterkeit.) Genauso steht es mit der Wahrheitsliebe des Genossen Schmidt, wenn er behauptet, die „Neue Zeit“ sei ein spezielles Organ zum Herunterreißen des Parlamentarismus; er führt uns sogar schon das schreckliche Gespenst der zerfahrenen Zustände in Frankreich vor, auf die die „Neue Zeit“ hinarbeite. Ich möchte ihn bitten, mir einen einzigen Artikel der „Neuen Zeit“ zu zeigen, wo der Parlamentarismus heruntergerissen wäre. Allerdings, vielleicht versteht

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[1] H. Fischer: Neutrale oder parteiische Gewerkschaften? In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 18. Jg. 1899/1900, Zweiter Band, S. 537.