Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 589

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Liberalen die Liquidierung der Revolution in der „friedlichen und einfachen“ Weise vor sich gehen kann, daß man statt einer Volksvertretung bloß einen Semstwokongreß, das heißt, bloß Standesvertreter des grundbesitzenden Adels einzuberufen und aus diesem adeligen Grundbesitz das Ministerium zu bilden brauche. Im weiteren entwickelt Herr Struve – der sich selbst notabene eingangs des Offenen Briefes nachdrücklich und offiziell als den „Repräsentanten der liberal-demokratischen Partei“, also der Partei des erforderlichen Vorrats an „starken Männern“ vorstellt – ein ausgedehntes und bis ins kleinste Detail ausgearbeitetes Programm der auswärtigen Politik. Er legt in aller Form ein Examen als künftiger leitender Staatsmann und Diplomat ab und zeigt sich den unverschämten Forderungen der schlitzäugigen gelben Teufel gegenüber fest wie ein Fels, knüpft gleichzeitig weise wie eine Schlange ein Bündnis mit Japan, söhnt sich, schlau wie ein Fuchs, mit dem Erbfeind England aus, und indem er zugleich seinem Freund Jaurès noch eine warme Hand zur Neubefestigung der franko-russischen Allianz darbietet unter Zusicherung von Cochinchina an Frankreich, wendet er diesen neuen Vierbund – Rußland, Japan, England, Frankreich – gegen den Dreibund und Deutschland, das ihm in Kleinasien in die Parade fährt, da Herr Struve gerade am Schwarzen Meer die Hauptbasis seiner künftigen Politik schaffen will. Insofern nun der Leader des Semstwo-Liberalismus einen Befähigungsnachweis als kommender Staatsmann hat ablegen wollen, hat er es durch diese weltumspannende politische Kannegießerei unbestreitbar fertiggebracht. Er hat sogar nebenbei schon die erforderliche Dosis staatsmännischer Borniertheit verraten, indem er völlig blind für die internationalen Weltmarkttendenzen, die mit fataler Logik den Schwerpunkt der Weltpolitik und den politischen Krisenherd nach dem Fernen Osten verlegt haben, die russische Diplomatie als „starker Mann“ in die ausgetretenen Kinderschuhe der „Orientpolitik“ am Bosporus zurückzustecken verspricht.

Das wichtigste jedoch bei der obigen Kannegießerei ist etwas ganz anderes. Das ganze Programm des Herrn Struve dreht sich um die auswärtige Politik, und Herr Struve sagt ausdrücklich, daß es sein Zweck ist, das Augenmerk aller einflußreichen Freiheitskämpfer Rußlands jetzt auf all diese Probleme zu richten. Nun gibt es kein sichereres und probateres Mittel, die Opposition im gegenwärtigen Augenblick zu verwirren, zu schwächen und zu demoralisieren, als indem man ihre Blicke von den Problemen der inneren Umwälzung, der inneren Kämpfe mit dem Absolutismus, der inneren Klassen- und Parteientwicklung ab- und den Fragen der auswärtigen Politik, der Interessen des „gemeinsamen Vaterlandes“ zuwendet. Hier

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