Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 561

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essen und Bedürfnisse des ganzen arbeitenden Volkes, und weil sie so auftretend mit dem allmählichen Erwachen der ganzen Arbeitermasse rechnete und unerschütterlich rechnen konnte.

Gerade heute, im Laufe der Revolution, erfolgt dieses Erwachen in plötzlichen Sprüngen. Die Arbeiterklasse, der Klassengegensatz, der Klassenkampf werden in unserem Lande zur Wirklichkeit, die Idee der Sozialdemokratie wird materiell, die kleine Schar der Vorhut wächst zu einer gewaltigen Armee heran.

Und dieses Hervortreten der Arbeitermasse als einer kämpfenden, bewußten Klasse von Ausgebeuteten aus der bürgerlichen Gesellschaft ist das wertvollste Ergebnis, und darauf beruht die eigentliche Bedeutung des von Ende Januar datierenden ökonomischen Streikfiebers, daraus ergeben sich auch die Hinweise, was die Sozialdemokratie zu tun hat.

Überall dort, wo unter dem Druck der revolutionären Streikwelle die Rinde der bürgerlichen Gesellschaft rissig geworden ist, muß die Sozialdemokratie sofort aus aller Kraft mit der Spitzhacke der Agitation hinschlagen, um den Spalt zu erweitern, zu vertiefen, zu fixieren, d. h., um diesen Klassengegensatz so bewußt wie möglich zu machen und ihn mittels der Organisation so sehr wie möglich zu festigen.

Zu diesem Zweck drängen sich zwei Wege auf. Einerseits in jedem einzelnen Falle die Konzentration und Gruppierung der ökonomischen Forderungen rund um die Forderung nach dem Achtstundentag, die zur Zentralachse des ganzen ökonomischen Kampfes werden sollte. Schon vom ersten Augenblick, von den Januartagen an, verkündete die Sozialdemokratie bei uns sowie auch das Petersburger Proletariat als parallele ökonomische Grundforderung neben den politischen Forderungen den Achtstundentag. Diese Losung sollte von nun an bewußt und systematisch mit jedem ökonomischen Streik im Lande verbunden und an die Spitze gestellt werden. Gruppiert um diese gemeinsame zentrale Achse, verschmelzen die verstreuten Streiks zu einer Klassenbewegung und verbinden sich organisch mit dem politischen Kampf, wobei sie ihm ihrerseits den Charakter eines bewußt arbeitermäßigen und sozialistischen Kampfes verleihen. Der Achtstundentag ist zwar noch keine sozialistische Reform, das ist nur eine ökonomische Reform auf dem Boden der bürgerlichen Wirtschaft. Aber diese Reform, verstanden als allgemeines und Zwangsgesetz, ist so weit radikal, daß sie bereits eine Herausforderung darstellt, die an das kapitalistische Eigentum selbst, an die Ausbeutung selbst gerichtet ist; zugleich verbindet sie als internationale Losung die

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