Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 548

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wie den Industrieproletarier. Folglich haben die Landarbeiter notwendigerweise ganz dieselben ökonomischen, politischen und Klasseninteressen wie die städtischen Arbeiter. Der Sturz des Absolutismus und das bewußte Streben nach Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist im Zarismus für das Landproletariat ebenso wie für das Stadtproletariat eine Lebensfrage. Daher ist der natürliche Platz der Landarbeiter neben den Industriearbeitern in einer gemeinsamen Klassenpartei der Arbeiter, in den Reihen der Sozialdemokratie.

Wenn wir uns jetzt erst mit einer breiteren Agitation an das auf dem Lande arbeitende Proletariat wenden, so nicht deshalb, weil wir uns erst jetzt an das Landproletariat und seine Not erinnert haben und weil wir es nur als Werkzeug verwenden wollen, um uns den Sieg über den Absolutismus zu erleichtern. Nein! Das ist die einfache Folge der unterschiedlichen Lage, daß der städtische Industriearbeiter leichter und früher beginnt, seine Klassenbedürfnisse zu verstehen und gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen als das über die Dörfer verstreute Landvolk. In allen Ländern wird der Kampf der Arbeiter vom Stadtproletariat eingeleitet. Erst wenn der Kampf der Arbeiter in den Städten bereits einen breiten Umfang angenommen hat, beginnt das bewußte Industrieproletariat durch sein Beispiel auch seine Brüder vom Lande in den Kampf einzubeziehen.

Ebenso ist es auch bei uns. Das Echo des heutigen Arbeiterkampfes, und zwar der Ereignisse in Petersburg[1], des allgemeinen Streiks, der Widerhall der Revolution bei uns und in Rußland, erschallten auch in großen Landgebieten, gelangten auch zu den Schichten unseres Volkes, das unter dem furchtbarsten Elend, der schrecklichsten Erniedrigung und Unterdrückung leidet. Jetzt muß man also [die Zeit] ausnutzen, um das Licht des Sozialismus und des politischen Kampfes mit ganzer Kraft zu den Landarbeitern, diesen weißen Negern des Kapitals in der Landwirtschaft, und auch zu den Kleinbauern, diesen Sklaven ihres Kleinbesitzes, diesen Bettlern auf „eigenem“ Grund und Boden, zu tragen. Nicht, um unter ihnen nur einige neue Tausend muskulöser Arme und starker Fäuste zu Diensten unserer politischen Revolution zu gewinnen, sondern um neue Tausende proletarischer Köpfe für das Evangelium des Sozialismus zu erobern, um in Tausenden von Herzen das Feuer des Aufstandes und des Verlangens nach Befreiung zu entfachen. Indem wir jene Bewegung in den Dörfern ausnutzen, müssen wir die Losung des Klassenkampfes dorthin tragen, ohne die politischen Aufgaben unter zweideutigen und feigen patrioti-

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[1] Siehe S. 479, Fußnote 1.