Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 546

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diesen Waffen schon ein Hirngespinst. Das arbeitende Volk ist kein Regiment von Soldaten, das sich auf Befehl zu einer bestimmten Stunde in Reih und Glied in den Kasernen einfindet, damit ihm die Waffen ausgegeben werden. In Anbetracht all dessen können wir faktisch im besten Falle die eigenen aktiven Agitatoren und sehr kleine, der Partei am nächsten stehende Arbeiterkreise bewaffnen. Und diese Bewaffnung hat lediglich Bedeutung als Verteidigungsmittel der einzelnen und einzelner Arbeitergruppen gegen Überfälle der zaristischen Häscher. Uns zu wehren und den Gewalttaten der Regierungsorgane Widerstand zu leisten ist eine Pflicht für uns, und wir müssen in dieser Hinsicht alles in unseren Kräften Stehende tun. Aber den Arbeitern einzureden, daß irgendeine sozialistische Partei in der Lage ist, die ganze Masse des arbeitenden Volkes zu bewaffnen, und daß sie sie mit Waffen ausrüstet, die für den Überfall auf die militärischen Kräfte oder eine Entscheidungsschlacht gegen die Soldateska ausreichen, bedeutet, die Arbeitermasse zu betrügen.

Und ein derartiges Vorgehen ist im höchsten Maße gefährlich. Heute, da die Masse des Proletariats endlich zum politischen Kampf gegen den Despotismus angetreten ist, hängt unsere ganze Hoffnung auf den Sieg davon ab, ob die breitesten Schichten, ob Hunderttausende und Millionen Arbeitender verstehen, daß sie den begonnenen Kampf selbst bis zum Ende weiterführen müssen. Der Absolutismus wird erst dann stürzen, wenn die riesige Masse des Volkes in Polen und in ganz Rußland klar versteht, daß sie selbst zum offenen Kampf gegen die Regierung antreten muß und daß sie den Sieg nur mit eigenen Kräften, nur durch den eigenen Massenkampf erringen kann. Darum verüben auch jene Menschen, die in der Arbeitermasse die illusorische Hoffnung hervorrufen, daß sie nicht von sich selbst alle Mittel zum Sieg zu erwarten habe, sondern daß irgendein anderer, irgendein „Parteikomitee“, irgendeine „Kampforganisation“ ihr die gebratenen Täubchen ins Mäulchen liefern werde, d. h. die Waffen für den Kampf gegen den Absolutismus – jene verüben ein Verbrechen an der Arbeiterklasse.

Das wichtigste aber ist, daß mit Lärm und Betörung der Arbeiter wegen der Bewaffnung die Aufmerksamkeit des Proletariats von seinen wichtigeren Aufgaben abgelenkt wird. Es ist unbedingt notwendig, daß das arbeitende Volk versteht, daß es eben nicht damit rechnen kann, in einer Reihe regulärer offener Schlachten mit den Truppen – wie etwa in einem Krieg – das zaristische Heer einfach durch seine stärkere Waffe zu schlagen. Auf diesem Wege den Sieg über die zaristische Regierung zu erwarten ist eine Chimäre. Bei so mächtigen Kriegsmitteln, über die die heutigen Militär-

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