Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 535

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letzteren Standpunkt gelangt man dazu, in Karl Moor den Vorläufer Robert Blums, in der „Luise Millerin“ „die Revolutionstragödie des Zusammenbruchs“ und im „Wilhelm Tell“ „das Revolutionsdrama der Erfüllung“ – mögen die Götter immerhin wissen, was dieser begeisterte Galimathias bedeutet – zu sehen. Durch dieselbe Auffassung wird man alsdann dazu geführt, einen künstlichen Widerspruch zwischen dem „revolutionären Idealismus“ der Schillerschen Dramen und seinem Verhalten der Großen Französischen Revolution gegenüber, zwischen seiner „Revolution des Handelns“ und seiner Flucht in den „ästhetischen Erziehungsstaat“ zu konstruieren und schließlich zur Erklärung dieses vermeintlichen Widerspruchs mitten im geistigen Leben Schillers einen Bruch, einen tiefen Riß zu entdecken, der auf die „höfische Akklimatisation“ Schillers durch den kleinstaatlichen Despotismus zurückgeführt wird.

Diese letztere Theorie ist ja auch eine Art „materialistische Geschichtsauffassung“, aber eine ebenso verflachte und vergröberte Ausgabe derselben wie die mit ihr korrespondierende Auffassung von der „Revolution“. Danach wird nicht die ganze Weltanschauung und das Lebenswerk Schillers in seinen tiefen inneren Grundzügen aus der geschichtlichen und sozialen Misere des damaligen Deutschlands erklärt, einer Misere, wovon der „höfische Duodezdespotismus“ nur das äußere, wenn auch den ganzen Leib der Nation bedeckende Geschwür war, sondern der angebliche revolutionäre „Umfall“ Schillers auf der Höhe seines Schaffens und Lebens wird durch den persönlichen unmittelbaren Druck des Stuttgarter und Weimarer Hofes erklärt.

Gegen diese „materialistische“ Mißhandlung durch eine überschwengliche Begeisterung findet der Schöpfer „Wallensteins“ eine Ehrenrettung bei dem kühlen „orthodoxen“ Materialisten Mehring, der bereits in dem Erstling Schillers, in den „Räubern“, jenen tiefen Zwiespalt, jenen Dualismus der Weltanschauung aufzeigt, der durch das ganze Leben und Schaffen Schillers geht und im „ästhetischen Staat“ einen ganz konsequenten Abschluß findet – die Flucht aus dem sozialen Elend in das abgeklärte Reich der Kunst am Ende einer geistigen Laufbahn, die mit der Flucht in den Wald eines kraftgenialischen Räubertums begonnen hatte. Der „revolutionäre Idealismus“ ist eben, losgelöst von der Grundlage der materialistischen Weltanschauung, auf der er zum Beispiel heute in klassischer Weise in dem modernen Proletariat beruht, ein gar zwiespältig Ding, und um Schiller als Philosoph zu verstehen, muß man eben vor allem – Karl Marx verstehen.

Begreift man die Schillersche Dichtung von dieser Seite, so hat man

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