Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 50

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häufigen politischen und Solidaritätsstreiks, unmöglich.[1] Indem zur Einheit im wirtschaftlichen Kampfe die Werkstatt an Stelle der Gewerkschaft gemacht wird, wird dem Kampfe zugleich der Rückhalt in der Solidarität des Berufs und der ganzen Arbeiterschaft wie die vorwärtstreibende Kraft, die in der Leitung der Einzelkämpfe durch die Gewerkschaft liegt, genommen.

Wie das Gesetz über die Arbeitszeit der normalen Entwicklung des Arbeitsschutzes, so läuft das projektierte Streikgesetz der normalen gewerkschaftlichen Entwicklung schnurstracks zuwider, und wie jenes die natürlichen Kategorien der schutzbedürftigen Arbeiterschaft mit bürokratischem Federstrich nivelliert, so durchkreuzt dieses mit künstlichen Richtungslinien die natürlichen Kristallisationsachsen der wirtschaftlichen Organisation der Arbeiterklasse. Die verhängnisvolle Wirkung auf die Entwicklung der Gewerkschaften war auch für das Urteil der berufensten Sachverständigen, der Gewerkschaftsführer, ausschlaggebend und hat sie in Frankreich wie in Deutschland wie in Österreich in den meisten bis jetzt bekannten Fällen zur prinzipiellen Verurteilung des Millerandschen Gesetzentwurfs geführt.[2]

Allein ein anderer maßgebender Punkt liegt unseres Erachtens noch in der obligatorischen Kraft der Schiedssprüche. Da nach dem Entwurf die Eventualität ausgeschlossen zu sein scheint, daß das obligatorische Schiedsgericht zu keiner Einigung gelangt, da ferner die von der Arbeitskammer zu fällenden Urteilssprüche offenbar nicht vorbehaltlich der Zustimmung der streikenden Arbeiter, sondern ohne weiteres rechtlich bindende Kraft besitzen, so wird der Zweck des Streiks, insofern hier nicht bloß Unklarheit des Gesetzentwurfs vorliegt, einfach unverständlich. Die Arbeiter haben offenbar keine Möglichkeit, eventuell den Schiedsspruch abzulehnen und durch Fortsetzung des Streiks die Unternehmer direkt zum Nachgeben zu zwingen oder indirekt die Beeinflussung des schiedsgerichtlichen

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[1] Der Hinweis Herbsts (Deutsche Worte, Nr. 1 d. J.), daß die Arbeitskonflikte in jedem Industriebezirk von der gleichen Arbeitskammer entschieden werden, in den Arbeitsbedingungen also auf die Weise eine Gleichmäßigkeit herbeigeführt wird, ist hinfällig. Die Arbeitskammern urteilen nur über die jedesmal von den Arbeitern einer Werkstatt gestellten Forderungen, ohne in ihrem Urteil über sie hinausgehen zu können. Es kommt aber darauf an, die Gleichmäßigkeit in der Aufstellung der Forderung zu erzielen, und dies kann nur die Gewerkschaft. [Fußnote im Original]

[2] Siehe die ausgezeichnete Besprechung Legiens im „Vorwärts“ vom 25. Dezember 1900 wie die Artikel im „Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“, Nr. 47 und 51 vorigen Jahres, ferner den „Oesterreichischen Metallarbeiter“ vom 29. November 1900 und die „Voix du Peuple“ vom 3. bis 10. Februar 1900. Auf die entschieden ablehnende Haltung eines großen Teils der französischen Gewerkschafter ist unter anderem ihre bekannte Schwärmerei für den Generalstreik von Einfluß. [Fußnote im Original]