Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 48

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ten Grundbesitzes und Geschäftsbetriebs. Auch bis jetzt besaßen die Gewerkschafter sowohl das Recht, im Rahmen der gewerkschaftlichen Funktionen Vermögen (bewegliches wie unbewegliches) zu besitzen, wie die Möglichkeit, Produktiv- und Konsumgenossenschaften, wenn auch unabhängig von der Gewerkschaft, zu gründen. Tatsächlich ist zirka ein Viertel der französischen Kooperationen aus den Gewerkschaften hervorgegangen. Die projektierte Reform besteht nur darin, daß den Gewerkschaften nun als solchen das Recht verliehen wird, Genossenschaften zu gründen. Eine solche unmittelbare Verquickung der gewerkschaftlichen mit der genossenschaftlichen Bewegung muß aber, wenn man die bisherigen Erfahrungen und die wechselseitigen Verhältnisse der beiden Organisationen kennt, als eine sehr zweifelhafte Wohltat erscheinen. Ohne einem reellen Bedürfnis, sei es der Gewerkschaft, sei es der Genossenschaft, zu entsprechen, ist die projektierte Neuerung höchstens geeignet, eine Quelle ständiger Konflikte und Reibereien zwischen beiden zu schaffen.[1]

Den illusorischen Errungenschaften entsprechen aber sehr reelle und unzweifelhafte Verluste. Das projektierte Gesetz gewährt nämlich nicht bloß zugleich mit dem Klagerecht der gemaßregelten Arbeiter gegen den Unternehmer das Klagerecht des Unternehmers gegen die Arbeiter, die über sein Etablissement die Sperre verhängten. Es beläßt nicht nur den bestehenden verhaßten Artikel des Strafgesetzbuchs gegen „die Beeinträchtigung der Freiheit der Arbeit“ in voller Kraft. Es schafft auch noch einen besonderen strafrechtlichen Schutz für den Unternehmer und seine „Arbeitswilligen“ gegen „Drohungen oder Gewalttätigkeiten“ der Streikenden. Damit wird, einem von reaktionärer Seite im Mai 1890 in der Kammer gestellten Antrag entsprechend, eine 1884 bereits aufgehobene Maßregel gegen die Streikenden wieder ins Leben gerufen, und die ganze Reform verwandelt sich unversehens aus einer angeblichen Erweiterung und Sicherstellung in eine Beschränkung des Koalitionsrechtes der Arbeiter.

Endlich der am meisten Aufsehen erregende Gesetzentwurf über die obligatorischen Schiedsgerichte und den obligatorischen Streik. Wer noch den sozialistischen und epochemachenden Charakter der früheren Reformen Millerands nicht hat einsehen können, dem muß der genannte Entwurf jedenfalls die Augen öffnen. Denn bewegen sich die anderen Maßnahmen in den bekannten Bahnen der internationalen Arbeitergesetzge-

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[1] So haben sich denn auch die französische Generalkonföderation der Arbeit wie der 1900 in Paris abgehaltene Kongreß der französischen Arbeitsbörsen entschieden gegen die Reform ausgesprochen. – Für den juristischen Teil der Vorlage siehe den trefflichen Artikel von Marius Moutet im „Mouvement Socialiste“, Nr. 30. [Fußnote im Original]