Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 47

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Und dasselbe finden wir auch in der zweiten wichtigen Vorlage Millerands, betreffend die Gewerkschaften, bestätigt.

Das im Jahre 1884 den Arbeitern gewährte Koalitionsrecht bleibt bis heute ohne jeden gesetzlichen Schutz. Der Willkür des Unternehmertums ausgeliefert, sind die organisierten Arbeiter gezwungen, durch verzweifelten Kampf ihr elementarstes Recht zu verteidigen. Die größten französischen Streiks, wie der im Departement du Nord 1885, in Carmaux, der Streik der Omnibusangestellten in Paris, endlich der neuliche in Creusot, waren durch Maßregelungen von Arbeitern hervorgerufen.

Die Vorlage Millerands schafft für das Koalitionsrecht eine rechtliche Garantie, indem sie für den wegen seiner Zugehörigkeit zur Gewerkschaft gemaßregelten Arbeiter ein Klagerecht auf Entschädigung gegen den Unternehmer statuiert und den letzteren, im Falle der Anwendung von Drohungen oder Gewalttätigkeiten, strafrechtlich bedroht. Aber nicht genug. Das projektierte Gesetz stattet die Gewerkschaften wie ihre Verbindungen obendrein mit dem vollen Rechte der juristischen Persönlichkeit aus, das heißt, es erlaubt ihnen, in unbeschränktem Maße Vermögen zu besitzen und geschäftliche Transaktionen zu unternehmen.

Auf den ersten Blick haben wir wieder eine kühne, die Gesetzgebung anderer Länder weit überragende sozialpolitische Reform. Aber es steckt ein Wurm auch in dieser herrlichen Blüte.

Ein privatrechtliches Klagerecht gegen den Unternehmer besaß nämlich der gemaßregelte Gewerkschafter in Frankreich auch schon früher – einfach auf Grund des gemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (Art. 1780 und 1382). Die privatrechtliche Garantie hat sich aber sowohl angesichts des Unvermögens der Arbeiter, kostspielige Prozesse zu führen, wie angesichts der Schwierigkeit, den Unternehmer vor Gericht der Absicht der Maßregelung zu überführen, wie endlich der Belanglosigkeit der Geldstrafen für die Kapitalisten als völlig unwirksam erwiesen. Worum es sich handelte, das war, die dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Koalitionsrechtes einzig entsprechende strafrechtliche Garantie zu schaffen. Und die Kammer hatte auch bereits dreimal (1890, 1892 und 1895) ein dahingehendes Gesetz angenommen, das nur an dem Widerstand des Senats regelmäßig gescheitert war. Indem Millerand, statt den Wunsch der Arbeiterschaft im Senat durchzudrücken, sich vor dem Senat beugt und ein privatrechtliches Klagerecht als Garantie des Koalitionsrechtes einführt, bietet er dem Arbeiter unter der Form eines neuen Rechtsschutzes nur die alte Schutzlosigkeit gegen die Übergriffe des Unternehmertums.

Ebenso illusorisch ist das zweite Geschenk: das Recht des unbeschränk-

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