Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 467

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Anschauungen, die Gesellschaft, in der als innerer, gleichsam von Gott und Natur bestimmter Zweck der menschlichen Arbeit die Bereicherung anderer erscheint, die Gesellschaft, in der die Ausbeutung als die Norm, dagegen die Arbeit zum eigenen Wohl des Arbeitenden als Abnormität, Überflüssigkeit, Zweckwidrigkeit gilt, die Gesellschaft, in der die stets wachsende Masse des Volkes nur in dem Maße unter den Begriff der „produktiven Arbeiter“ fällt, in dem sie die eigene soziale Sklaverei produziert.

Erst in dieser Beleuchtung wird die Generalattacke begreiflich, die die bürgerliche Ökonomie sofort mit allen Geschützen gegen den alten Adam Smith eröffnete, nachdem er hier wie in den meisten Hauptgesetzen der kapitalistischen Wirtschaft mit klassischem Freimute hart an die Grenze der Erkenntnis gestoßen war, damit zugleich aber die sterblichen Seiten dieser Gesellschaftsform entblößt hatte. Die kritische Revue der großen Kontroverse zwischen der klassischen und der Vulgärökonomie über den Begriff der „produktiven Arbeit“ ist die tiefste und glänzendste Partie des vorliegenden Marxschen Werkes, die auf einem ganz neuen Wege, wenn auch in vollkommenster logischer Verknüpfung mit dem ganzen Marxschen System, zur Einsicht in den Gesamtcharakter der kapitalistischen Wirtschaft und ihrer historischen Bedingtheit führt.

Im Lichte dieser Einsicht erscheint auch erst in ihrer wahren Bedeutung die kritische Geschichte der bürgerlichen Mehrwerttheorien, die den Hauptinhalt des vorliegenden Bandes ausmacht. Indem Marx die große Linie in der Entwicklung der Mehrwerttheorie verfolgt von der ursprünglichen Vorstellung, daß der kapitalistische Profit auf dem landwirtschaftlichen Acker als wogendes Kornfeld wächst und reift, bis zu der Einsicht, daß die Grundrente umgekehrt in der Fabrik unter Gestampf industrieller Dampfmaschinen produziert wird, entwirft er die Geschichte desjenigen „Kristallkerns“, um den sich alle übrigen Begriffe der jeweiligen Richtung und Schule der Nationalökonomie in logischem Zusammenhang ansetzen.

Was namentlich den ökonomischen Forscher in diesem historischen Bilde frappieren müßte, ist die äußerlich ganz unzusammenhängende Entwicklung der so innig miteinander verbundenen Wert- und Mehrwerttheorie. Beide bewegen sich vielmehr in zwei getrennten und anscheinend selbständigen Linien, indem wir zum Beispiel bereits bei den Merkantilisten sehr klare Ahnungen in bezug auf die Arbeitswerttheorie finden und zugleich die vulgärste Ableitung des Profits aus der Übervorteilung im Handel, während andererseits die erste wissenschaftliche Erklärung des

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