Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 466

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je tiefer die Nationalökonomie in den Vulgarismus versank – ohne jedoch, daß sich die bürgerlichen Theoretiker je der tiefeinschneidenden Bedeutung dieses Problems für ihre Wissenschaft bewußt geworden wären.

Marx wendet hier wie in allen Fragen die dialektische Methode an und weist nach, daß der Begriff der „produktiven Arbeit“ nicht Gegenstand der Privatliebhaberei oder des Esprits des einzelnen Ökonomen, sondern ein geschichtliches Produkt der Gesellschaft sei. Genau wie er das Bevölkerungsproblem auf einen neuen Boden gestellt hat, indem er nachgewiesen, daß es kein allgemeines absolutes Bevölkerungsgesetz für alle Zeiten und Länder gäbe, vielmehr jede historische Gesellschaftsform ihr eigenes, allerdings in ihren Schranken mit der Kraft eines Naturgesetzes wirkendes Bevölkerungsgesetz habe, so behandelt Marx den Begriff der „produktiven Arbeit“ nicht als etymologische Definition, sondern als historische Kategorie. Jede Wirtschaftsform stempelt die Arbeit zur „produktiven“ vom anderen Gesichtspunkt, je nach ihrem eigenen Zweck. In der primitiven, auf direkten Selbstgebrauch der Arbeitenden gerichteten kommunistischen Gesellschaft erscheint offenbar als „produktiv“ jede Arbeit, die zur Herstellung und Vergrößerung der Summe von Gebrauchsgütern der Kommune dient. In der Periode der einfachen handwerksmäßigen Warenproduktion gilt diejenige Arbeit als gesellschaftlich „produktiv“, die sich in der Herstellung von Waren materialisiert. Endlich, in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die weder auf die Herstellung von Gebrauchswerten noch von Waren gerichtet ist – erstere sind nur die notwendige allgemeine Voraussetzung, letztere die herrschende Form der kapitalistischen Produktion, deren eigentlicher Zweck die Produktion von Kapital ist –, in dieser Gesellschaft erscheint logischerweise als produktiv nur diejenige Arbeit, die den Kapitalstoff, den Mehrwert schafft. Darin ist aber bereits eingeschlossen, daß es Arbeit für andere, ausgebeutete Arbeit, Arbeit unter der Klassenherrschaft ist. Der Begriff der Produktivität der Arbeit liegt somit in der Marxschen Beleuchtung nicht im Verhältnis zwischen Mensch und Arbeitsstoff, allgemeiner: zwischen Mensch und Natur, allwo ihn der Vulgarus seit einem Jahrhundert im Schweiße seines Angesichts sucht, sondern zwischen Mensch und Mensch, es ist ein gesellschaftliches Verhältnis, das unter dem Begriff der „produktiven Arbeit“ steckt, genau wie unter dem Begriff von Kapital. Durch das Prisma dieses Begriffes gesehen, ersteht vor uns die kapitalistische Gesellschaft wie auf flacher Hand in deutlichsten Farben und Konturen, in all ihrem objektiven Wahnsinn der Gesetze und in all ihrer subjektiven Verkehrtheit der

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