Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 458

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folgende Umstand: Als neulich von einer Organisation, die an jener Konferenz teilgenommen, eine blutige putschartige Demonstration veranstaltet wurde, trat eine andere jener acht Gruppen gegen ihre eigene Kollegin aus dem soeben abgeschlossenen „Block“ öffentlich auf mit denkbar heftigen Angriffen, ja beinahe mit Drohungen, gegen derartige Aktionen künftig die Hilfe der russischen Polizei anzurufen! Dieses tragikomische erste Ergebnis der oppositionellen „Allianz“ bildet eine lehrreiche Randglosse zu den auch in unseren Reihen so beliebten und so billigen Phrasen von dem notwendigen Zusammenschluß „aller oppositionellen Kräfte“ in dem gegenwärtigen Rußland zum gemeinsamen Ansturm gegen den Absolutismus. Leider liegt solchen weisen Ratschlägen nicht bloß die ganz begreifliche und verzeihliche Unkenntnis der tatsächlichen Kräfteverhältnisse im Innern des Zarenreiches zugrunde, sondern auch eine weniger begreifliche und verzeihliche Oberflächlichkeit in der Bewertung der politischen und geschichtlichen Rolle der Sozialdemokratie – in Rußland wie überhaupt.

Die Politik der Allianzen, der „Blocks“, ist ihrem Wesen nach etwas der Sozialdemokratie Fremdes, vielmehr eine legitime Blüte des bürgerlichen Parlamentarismus. Dieser schafft die Bedingungen sowohl für die Wahlkompromisse wie für die parlamentarischen Koalitionen, indem er sie für die Bourgeoisie zum Mittel der solidarischen Verteilung der politischen Herrschaft auf dem Boden des allgemeinen Wahlrechts macht, genau wie die wirtschaftlichen Koalitionen auf dem Boden der freien Konkurrenz die Verteilung der Profitrate unter verschiedene Kapitalistengruppen verschieben und „ausgleichen“ sollen. Historisch ist die „Block“politik ein Ergebnis des politischen Verfalls der Bourgeoisie. In ihrer Sturm- und Drangperiode, in der Periode ihres jugendlichen Kraftmeiertums, die wir freilich nur in Frankreich erlebt haben, führt die Bourgeoisie keine Allianz-, sondern eine Kampfpolitik. Je mehr die Klassengegensätze im Schoße der bürgerlichen Parteien noch verschleiert waren, um so schroffer und rücksichtsloser traten sich diese Parteien im Kampfe entgegen, wie dies die Periode der Großen Französischen Revolution zeigt. Jetzt, je mehr der Liberalismus auf den Hund kommt und an der eigenen inneren Lebenskraft verzweifelt, um so mehr träumt er von einem „Block“ „aller liberalen Parteien“. Wie wir aber in Deutschland sehen, kommt an Stelle dieses schönen Traumes als Ergebnis desselben bürgerlichen Verfalles ein anderes Bündnis – dasjenige des Liberalismus mit der Reaktion – zustande. Die politische Geschichte Deutschlands seit Ende der 70er Jahre ist ja nichts anderes als die Herrschaftsgeschichte des „Blocks“ des deutschen Bürgertums mit den Agrariern. Und dieses klassische Muster der „Block“politik

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