Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 426

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liche aktive Kern der Partei[1], alle übrigen Organisationen lediglich als seine ausführenden Werkzeuge.

Lenin erblickt gerade in der Vereinigung eines so straffen Zentralismus in der Organisation mit der sozialdemokratischen Massenbewegung ein spezifisch revolutionär-marxistisches Prinzip und weiß eine Menge Tatsachen für seine Auffassung ins Feld zu führen. Doch untersuchen wir die Sache etwas näher.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Sozialdemokratie im allgemeinen ein starker zentralistischer Zug innewohnt. Erwachsen aus dem wirtschaftlichen Boden des seinen Tendenzen nach zentralistischen Kapitalismus und angewiesen in ihrem Kampfe auf den politischen Rahmen des zentralisierten bürgerlichen Großstaats, ist die Sozialdemokratie von Hause aus eine ausgesprochene Gegnerin jedes Partikularismus und nationalen Föderalismus. Berufen dazu, allen partiellen und Gruppeninteressen des Proletariats gegenüber im Rahmen eines gegebenen Staates die Gesamtinteressen des Proletariats als Klasse zu vertreten, hat sie überall die natürliche Bestrebung, alle nationalen, religiösen, beruflichen Gruppen der Arbeiterklasse zur einheitlichen Gesamtpartei zusammenzuschweißen, wovon sie nur in exklusiven, abnormen Verhältnissen, wie zum Beispiel in Österreich, notgedrungen eine Ausnahme zugunsten des föderalistischen Prinzips macht.

In dieser Beziehung war und ist es auch für die Sozialdemokratie Rußlands keine Frage, daß sie nicht ein föderatives Konglomerat einer Unzahl nationaler und provinzieller Sonderorganisationen, sondern eine einheitliche, kompakte Arbeiterpartei des russischen Reiches bilden müsse. Eine davon ganz verschiedene Frage ist jedoch die nach dem größeren oder geringeren Grade der Zentralisation und nach deren näherer Beschaffenheit innerhalb einer geeinigten und einheitlichen Sozialdemokratie Rußlands[2]

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[1] „Gen. Luxemburg meint, nach meiner Auffassung erscheine ‚das Zentralkomitee als der eigentliche aktive Kern der Partei‘. In Wirklichkeit ist das unwahr. Ich habe diese Auffassung nirgends vertreten. Im Gegenteil, meine Opponenten (die Minderheit des II. Parteitags) beschuldigten mich in ihren Schriften, daß ich die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Zentralkomitees nicht genügend in Schutz nehme, daß ich es viel zu sehr der im Ausland befindlichen Redaktion des Zentralorgans und dem Rat der Partei unterordne. Auf diese Beschuldigung habe ich in meinem Buch geantwortet. daß die Parteimehrheit, als sie im Rat der Partei die Oberhand hatte, niemals den Versuch machte, in die Selbständigkeit des ZK einzugreifen; das geschah aber sogleich, als der Rat der Partei zu einem Kampfinstrument der Minderheit wurde.“ (Ebenda, S. 481.)

[2] „Gen. Rosa Luxemburg sagt, für die Sozialdemokratie Rußlands sei es keine Frage, daß eine einheitliche Partei notwendig ist, und der ganze Streit drehe sich um den größeren oder geringeren Grad der Zentralisation. In Wirklichkeit ist das unwahr. Hätte sich Gen. Luxemburg die Mühe gegeben, die Resolutionen der vielen Lokalkomitees der Partei, die die Mehrheit bilden, kennenzulernen, so hätte sie leicht verstehen können (das ist übrigens auch aus meinem Buch klar ersichtlich), daß der Streit bei uns hauptsächlich darum geht, ob das Zentralkomitee und das Zentralorgan die Richtung der Parteitagsmehrheit vertreten sollen oder nicht. Über diese ‚ultrazentralistische‘ und rein ‚blanquistische‘ Forderung sagt die werte Genossin kein Wort; sie zieht es vor, gegen die mechanische Unterwerfung eines Teils unter das Ganze, gegen den Kadavergehorsam, gegen die blinde Unterordnung und ähnliche Schreckgespenster zu wettern.“ (Ebenda, S. 481 f.)