Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 427

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Vom Standpunkt der formalen Aufgaben der Sozialdemokratie als einer Kampfpartei erscheint der Zentralismus in ihrer Organisation von vornherein als eine Bedingung, von deren Erfüllung die Kampffähigkeit und die Tatkraft der Partei in direktem Verhältnis abhängen. Allein viel wichtiger als die Gesichtspunkte der formalen Erfordernisse jeder Kampforganisation sind hier die spezifischen historischen Bedingungen des proletarischen Kampfes.

Die sozialdemokratische Bewegung ist die erste in der Geschichte der Klassengesellschaften, die in allen ihren Momenten, im ganzen Verlauf auf die Organisation und die selbständige direkte Aktion der Masse berechnet ist.

In dieser Beziehung schafft die Sozialdemokratie einen ganz anderen Organisationstypus als die früheren sozialistischen Bewegungen, zum Beispiel die des jakobinisch-blanquistischen Typus.

Lenin scheint dies zu unterschätzen, wenn er in seinem Buche (S. 140) meint, der revolutionäre Sozialdemokrat sei doch nichts anderes als „der mit der Organisation des klassenbewußten Proletariats unzertrennlich verbundene Jakobiner“[1]. In der Organisation und dem Klassenbewußtsein des Proletariats im Gegensatz zur Verschwörung einer kleinen Minderheit erblickt Lenin die erschöpfenden Unterschiedsmomente zwischen der Sozialdemokratie und dem Blanquismus. Er vergißt, daß damit auch eine

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[1] „Der Jakobiner, der untrennbar verbunden ist mit der Organisation des Proletariats, das sich seiner Klasseninteressen bewußt geworden ist – das ist eben der revolutionäre Sozialdemokrat.“ (W. I. Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. In: Werke, Bd. 7, S. 386.) – „Genossin Luxemburg sagt, daß ich meinen Standpunkt vielleicht scharfsinniger gekennzeichnet habe, als es irgendeiner meiner Opponenten tun könnte, indem ich meinen ‚revolutionären Sozialdemokraten‘ als einen mit der Organisation der klassenbewußten Arbeiter verbundenen Jakobiner definierte. Wieder eine faktische Unwahrheit. Nicht ich, sondern P. Axelrod sprach zuerst vom Jakobinismus. Axelrod war der erste, der unsere Parteinuancen mit denen aus der Zeit der großen französischen Revolution verglich. Ich bemerkte lediglich, daß dieser Vergleich nur in dem Sinne zulässig sei, als die Teilung der modernen Sozialdemokratie in eine revolutionäre und eine opportunistische bis zu einem gewissen Grade der Teilung in Montagnards und Girondisten entspricht. Einen ähnlichen Vergleich hat die vom Parteitag anerkannte alte ‚Iskra‘ recht oft gezogen. Und gerade weil sie diese Teilung anerkannte, bekämpfte die alte ‚Iskra‘ den opportunistischen Flügel unserer Partei, die Richtung des ‚Rabotscheje Delo‘. Rosa Luxemburg verwechselt hier das Verhältnis zwischen zwei revolutionären Richtungen im 18. und im 20. Jahrhundert mit der Identifizierung dieser Richtungen selbst.“ (W. I. Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. Eine Antwort N. Lenin, an Rosa Luxemburg. In: Werke, Bd. 7, S. 483.)