Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 420

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Macht lebendig war. Nicht bloß in dem Sinne, daß Lassalle wie Marx und Engels speziell in den 50er Jahren noch ganz fest auf die Rückkehr der revolutionären Märzwelle in Europa rechnete, sondern vor allem in dem Sinne, daß er in dem felsenfesten Glauben an die Berechtigung und die Unvermeidlichkeit der proletarischen Revolution überhaupt lebte. „Den Massenschritt der Arbeiterbataillone“ zum weltgeschichtlichen Ansturm auf die bürgerliche Gesellschaftsordnung hörte er beständig, mitten im Alltagskampf und im Guerillakrieg mit der preußischen Justiz und Polizei. Und er wußte ganz genau, daß die einzige, aber ausreichende Bürgschaft für den Eintritt und den siegreichen Verlauf dieser Revolution eben in der proletarischen Masse, in der Volksmasse selbst liegt. Hat er dies auch nicht auf dem Wege der materialistisch-historischen Forschung, wie Marx, sondern vielmehr auf dem Wege der philosophisch-idealistischen Spekulation gefolgert, so gab Lassalle doch in völliger Übereinstimmung mit der Marxschen Lehre der deutschen Arbeiterklasse einen der wichtigsten Wegweiser in ihrem Klassenkampfe, als er, die parlamentarische Reformtätigkeit der revolutionären Massenaktion entgegenstellend, sagte: „Nie hat, nie wird eine (gesetzgebende) Versammlung den bestehenden Zustand umstürzen. Alles, was eine (solche) Versammlung je getan und gekonnt hat, ist, den draußen bestehenden Zustand proklamieren, den draußen schon vollzogenen Umsturz der Gesellschaft sanktionieren und ihn in seine einzelnen Konsequenzen, Gesetze usw. auszuarbeiten.“ „... realer gesprochen, kann man zuletzt Revolutionen nur mit den Massen und ihrer leidenschaftlichen Hingebung machen.“[1] [Hervorhebungen – R. L.]

In wenigen Monaten – am 31. August – werden genau vierzig Jahre seit Lassalles Tod verflossen sein. Seine Gestalt wie sein Lebenswerk, lange Zeit hindurch in sehr verschiedener, zum Teil widerspruchsvoller Weise beurteilt, liegen nun vor der deutschen Arbeiterschaft in voller und erschöpfender Klarheit da. Und zwar sowohl nach ihrer sterblichen wie nach ihrer unsterblichen Seite hin – im Kommentar Bernsteins und in den Werken Mehrings.

Ob Lassalle, wenn ihn ein jäher Tod nach kurzer, leuchtender Laufbahn nicht dahingerafft hätte, in der heutigen Bewegung sich zurechtfinden und in der gänzlich geänderten Situation seine Stellung als gewaltiger, führender Geist behaupten würde, mag füglich bezweifelt werden.

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[1] Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Herausgegeben von Franz Mehring. Bd. IV: Briefe von Ferdinand Lassalle an Karl Marx und Friedrich Engels. Stuttgart 1902, S. 38 u. 135.