Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 407

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Genossen noch vier Wahlkreise zur Verfügung gestellt wurden, erlebten wir folgende Resultate: Wir haben in unsren zehn Wahlkreisen der Provinz Posen 7 125 Stimmen, die Sonderorganisation in ihren fünf 857 Stimmen erhalten. Oder wenn wir nur je fünf und fünf Wahlkreise auf beiden Seiten vergleichen, und zwar Wahlkreise, in denen wir 1898 ungefähr gleiche Stimmzahlen, also bei der diesjährigen Wahl gleiche Chancen hatten, erhielten unsre Genossen 2 676, die Sozialnationalisten ihre erwähnten 857 Stimmen.

Noch deutlicher sprechen die Zahlen aus Oberschlesien. Während die Sonderbündler im Kattowitzer Wahlkreise – dem besten des Industriebezirks, den Winter[1] jahrelang bearbeitet hat – einen absoluten Stimmenzuwachs von nur 215 Stimmen und zugleich einen relativen Rückgang von 32 auf 22 Prozent der Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen verzeichnen, hat Winter im Beuthener Wahlkreis einen Stimmenzuwachs von 2 303, das heißt 29 Prozent absoluter Vermehrung erzielt. Im Kreise Gleiwitz, wo 1898 der als „Hakatist“[2] und „Polenfresser“ verschriene Winter 2 366 Stimmen erlangte, erhielt jetzt der Kandidat der Sozialdemokraten 985 Stimmen, das heißt um 58 Prozent weniger! In den drei oberschlesischen Kreisen, die der Sonderorganisation überlassen wurden, ist insgesamt ein Rückgang von 987 Stimmen im Vergleich zu 1898 zu verzeichnen, während wir in unsren Kreisen in Oberschlesien einen Zuwachs von 3 029 Stimmen haben. Im Vorbeigehen widerlegen diese Zahlen aufs gründlichste die nationalistischen Theorien von der Kandidatenaufstellung, die, wie alle andren nationalistischen Torheiten, in dem Abgeordneten des sechsten Berliner Wahlkreises einen berufenen Anwalt gefunden haben.

Und schließlich die Presse. Ledebour hat sich von langer Hand seinen Knalleffekt mit der Abonnentenzahl unsres polnischen Blattes vorbereitet. Es hat sich nach der vom Parteivorstand vorgenommenen Revision herausgestellt – siehe die Mitteilung des Parteibüros im „Vorwärts“, Nr. 242[3] –, daß Ledebour wieder einmal mit seinem Gerechtigkeitsfanatismus gründlich hereingefallen ist. Es ist selbstverständlich, daß die Abonnenten der „Gazeta Ludowa“ nicht entfernt die Zahl der polnischen Genossen erschöpfen, die zur Partei gehören. Die meisten polnischen Genossen, die der beiden Sprachen mächtig sind, ziehen natürlich vor, in der

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[1] August Winter war 1897 nach Oberschlesien gekommen und hatte in Königshütte den Sozialdemokratischen Verein für Oberschlesien gegründet. Er erwarb sich Verdienste bei seiner Tätigkeit im Arbeitersekretariat, in den Gewerkschaften und bei der Agitation zur Vorbereitung der Reichstagswahlen. Mit seiner Forderung nach einer Einheitsfront polnischer und deutscher Arbeiter in Oberschlesien trat er gegen den kleinbürgerlichen Nationalismus der PPS auf.

[2] Gemeint ist der 1894 gegründete Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken, ab 1899 Deutscher Ostmarkenverein, nach den Anfangsbuchstaben seiner Gründer, Ferdinand von Hansemann, Hermann Kennemann und Heinrich von Tiedemann-Seeheim, auch Hakatistenverein genannt. Er vertrat eine rücksichtslose wirtschaftliche und politische Unterdrückungspolitik gegenüber den Polen in den östlichen Provinzen des Deutschen Reiches und strebte die territoriale Expansion nach dem Osten an.

[3] Am 16. Oktober 1903 war im „Vorwärts“ das Ergebnis einer Prüfung der Bücher der „Gazeta Ludowa“ veröffentlicht worden. Danach war die Zahl der Abonnenten von Juli bis Dezember 1902 auf 150 gestiegen. Außerdem war im ersten Halbjahr 1903 neben den Abonnements jede Ausgabe der Zeitung in 400 Exemplaren verkauft worden.