Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 401

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gediehen, deren schönste Blüte die Verschwörung gegen Mehring[1] darstellt. Zwischen der Sozialdemokratie und der bürgerlichen Welt war eine geistige Endosmose hergestellt, durch die Giftstoffe der bürgerlichen Zersetzung in die Blutzirkulation des proletarischen Parteikörpers frei eindringen konnten.

Hinc illae lacrimae! Daher die Grimassen der bürgerlichen Presse und die Drohungen, daß wir nun unsere „Mitläufer“ verscherzt und den Zufluß von Akademikern abgesperrt haben. Der Genosse Göhre, meint ein Freisinnsblatt, wird jetzt, nachdem er sich zum Verzicht auf das Mandat veranlaßt sah, eingesehen haben, „welchen Fehler er begangen“, als er in die Sozialdemokratie eintrat.[2] Dieses naive Bekenntnis einer schönen liberalen Seele zeigt, wie man in jenem Lager über die jeweilige Parteizugehörigkeit eines Menschen denkt. Der edle Freisinn faßt den Eintritt in die Sozialdemokratie als „einen Fehler“ auf, wie man einen Fehler begeht, indem man je nach dem Geschäftsgang in Kaffee statt in Baumwolle „macht“. Und dabei ist ihm nicht einmal eine Ahnung aufgestiegen, daß er bei dieser fachmännischen Taxierung der Vorgänge in der Sozialdemokratie die Politik im eigenen Hause auf das Niveau der Prostitution degradierte.

Nun, diejenigen Akademiker, die, von diesen Gesichtspunkten ausgehend, zu uns nicht mehr kommen oder uns jetzt verlassen würden, wir gönnen sie ruhig den werbenden Umarmungen des Liberalismus. Similia similibus – mag Gleich und Gleich sich gern gesellen. Wir fürchten bloß, der arme Freisinn wird auch bei dieser erwarteten teilweisen Liquidation „der Konkurrenz“ kein Geschäft machen, denn gerade die ihm geistesverwandten „Akademiker“ würden schon sicher „den Fehler“ nicht begehen, bei einer bankrotten Firma in Kondition zu treten.

Was aber unsere Kulturmission betrifft, um die nach der „Auflehnung der schwieligen Fäuste“ gegen die „Akademiker“ das Junkertum besonders besorgt zu sein scheint, so werden auch die ostelbischen Kulturfreunde bald zu ihrem Schmerze erfahren müssen, daß die kulturrettende Aktion der Sozialdemokratie gegen die junkerliche Reaktion nach der Abrechnung mit dem Revisionismus nur noch mit größerer Potenz hervortreten wird. Denn auch der innige Zusammenhang der Sozialdemokratie mit der geistigen Kultur beruht nicht auf den Elementen, die von der Bourgeoisie zu

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[1] Franz Mehring hatte vor dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei in Dresden in einigen Artikeln die Mitarbeit von Sozialdemokraten an der bürgerlichen Presse als unvereinbar mit ihrer Parteizugehörigkeit bezeichnet. Daraufhin begannen die Revisionisten eine Hetzkampagne gegen ihn. Aus dem Artikel Wolfgang Heines „Herr Maximilian Harden und ich“ im „Vorwärts“ vom 30. September 1903 ging hervor, daß Heine maßgeblich an der Vorbereitung des Angriffs auf Mehring beteiligt war.

[2] Paul Göhre, Mitbegründer des Nationalsozialen Vereins (Der 1896 von Friedrich Naumann gegründete Nationalsoziale Verein vertrat eine Expansionspolitik und versuchte, mit der Forderung nach einem christlich-nationalen Sozialismus die Arbeiterschaft vom politischen und sozialen Kampf abzuhalten.) und bis 1899 dessen zweiter Vorsitzender, war 1900 zur Sozialdemokratie übergetreten, wo er revisionistische Positionen bezog. Am 1. Oktober 1903 hatte Göhre sein Reichstagsmandat vom Juni 1903 niedergelegt, ohne vorher den Parteivorstand oder seine Wähler in Kenntnis gesetzt zu haben.