Handlungsweise aller revisionistischen Genossen charakterisiert, doch als adäquater Ausdruck der Ethik des Revisionismus betrachtet werden kann, wie sie seinen Gedankengängen mit zwingender Logik entspricht. Die Masse, die wie ein Kind erzogen werden muß, der man nicht alles sagen, die man sogar zu ihrem Besten belügen und betrügen darf, und die „Führer“, die als tiefblickende Staatsmänner aus diesem weichen Ton den Tempel der Zukunft nach eigenen großen Plänen formen, das ist die politische Ethik sowohl der bürgerlichen Parteien wie des revisionistischen Sozialismus, wenn auch die dabei verfolgten Absichten hier und dort noch so verschiedene sein mögen.
Dieses Verhältnis der Masse und der Führer in ihrer praktischen Anwendung sehen wir im Jaurèsismus in Frankreich und in den Anläufen der Richtung Turatis in Italien sich Bahn brechen. Die „autonomen“, zusammenhanglosen, heterogenen „Föderationen“ der jaurèsistischen Partei, der Antrag Turatis in Imola auf Abschaffung des Zentralkomitees der Partei, das ist nichts anderes als die Auflösung der stramm organisierten Parteimasse, damit sie sich aus der selbständigen Führerin in ein ohnmächtiges Werkzeug ihrer Parlamentarier verwandelt, in jene „blinde Masse“, die „nachtrollen“ muß, weil sie „nicht im mindesten weiß, was sie will“, oder, wenn sie es weiß, wie auf dem Kongreß in Bordeaux[1], nicht die Kraft hat, ihrem Willen Gehorsam zu verschaffen. Dieses sowohl wie das Bestreben der jaurèsistischen Abgeordneten, sich sogar von dem Einfluß und der Kontrolle der Parteiorganisationen frei zu machen, die sie ins Parlament geschickt haben, und über deren Kopf hinweg direkt an die unorganisierte, amorphe Wählermasse zu appellieren, das sind die organisatorischen Vorbedingungen des gegenseitigen Verhältnisses von Führer und Masse, wie es in dem „Zukunft“-Artikel als psychologische Notwendigkeit und als Norm jeder Massenbewegung dargelegt worden ist.
Dieser Verwischung der Grenzen zwischen der zielbewußten proletarischen Kerntruppe und der unorganisierten Volksmasse unten entspricht harmonisch die Verwischung der Grenzen zwischen der „Führerschaft“ der Partei und dem bürgerlichen Milieu oben – die Annäherung des sozialistischen Parlamentariers an den bürgerlichen Literaten auf dem Boden der „allgemeinmenschlichen Bildung“.
Unter den Fittichen der „Bildung“ und der „allgemeinmenschlichen Kultur“ fanden sich nämlich an den schönen Winterabenden sozialdemokratische Parlamentarier mit bürgerlichen Journalisten zusammen, um sich
[1] Der Kongreß der Französischen Sozialistischen Partei fand vom 12. bis 14. April 1903 in Bordeaux statt.