Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 387

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Die Schranken der Produktion liegen somit in der organischen Beschaffenheit gewisser Stoffe, das krisenbildende Moment in der anorganischen Beschaffenheit anderer Stoffe. Das Reich der Steine ist der Stein des wirtschaftlichen Anstoßes und die Eiweißzelle das Korrektiv der kapitalistischen Ordnung! Mit dem Krisenproblem sind wir so auf außerordentlichen Rat aus Breslau hin plötzlich aus der Nationalökonomie in den Bereich der Chemie, aus der bürgerlichen Gesellschaft in Gottes freie Natur hinausgewandert. Durch diesen Exodus der „deutschen Wissenschaft“ aus der Nationalökonomie ist Marx mit seiner Krisenlehre nun freilich ganz überwunden. Wir haben ihm entschlossen den Rücken gedreht, und wenn sich noch leise Zweifel in uns regen, so beziehen sie sich höchstens auf die Frage, warum wir eigentlich die Krisentheorie auf dem Unterschied von organischen und anorganischen Stoffen und nicht etwa auf dem Unterschied von harten und weichen oder roten und blauen oder sauren und süßen Stoffen aufbauen sollen?

Doch das ist offenbar reine Geschmacksache, sobald wir uns auf der freien Wiese der Naturwissenschaften tummeln. Die wissenschaftliche Hauptfrage dabei ist nur die: Wie steht es nun doch angesichts der letzten Krise, sei sie aus organischen oder anorganischen Stoffen entsprungen, mit den beiden Pfeilern der ehemaligen Theorie von dem krisenlosen tausendjährigen Reiche des Kapitals, mit den Kartellen und den Gewerkschaften? Wo ist ihre feierlich versprochene vorbeugende, vermittelnde und ordnende Funktion geblieben, oder welches sind sonst ihre ökonomischen Funktionen?

Von den Gewerkschaften im Zusammenhang mit der jüngsten Krise erfahren wir vom Herrn Professor überhaupt kein Wort, und über die Kartelle wirft er uns mit anmutigem Leichtsinn nur die verschämte Versicherung hin, die Kartelle seien bis jetzt allgemein, im Guten wie im Bösen, „stark überschätzt“ worden. Diese diskrete, unpersönlich gehaltene Andeutung ist alles, womit wir abgefertigt werden, alles, womit die „deutsche Wissenschaft“ über die von ihr eben erst erlittene eklatante Niederlage quittiert. Die jüngste Krise hat die Theorie des sozialen Friedens ebenso feierlich begraben, wie das Fiasko der Nationalsozialen die Praxis des sozialen Friedens begraben hat, und die gelehrten Friedensapostel haben nicht einmal bemerkt, daß sie zu ihrer ordentlichen Generalversammlung vom Begräbnis der eigenen Lehre gekommen waren! Ein abgeschmacktes Gemisch von einer Goldtheorie und einer Eiweißtheorie zur Erklärung der Krise, ein verlegenes Gestammel über die Kartelle, ein völliges Stillschweigen über die Gewerkschaften – das ist alles, was von

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