Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 365

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der jevonsschen Schule[1] in England höhnt Bernhard Shaw, der geistreiche Vertreter des Fabianischen Halbsozialismus, über Hyndman, weil dieser schon auf Grund des ersten Bandes des „Kapitals“ vorgab, seinen Marx „ganz“ zu verstehen, und gar keine Lücke in der Marxschen Theorie verspürte, während Friedrich Engels nachher in der Vorrede zum zweiten Bande selbst erklärte, daß der erste Band mit seiner Werttheorie ein grundlegendes ökonomisches Rätsel aufgegeben habe, dessen Lösung erst der dritte Band bringen sollte. Shaw hatte hier Hyndman wirklich in einer recht komischen Lage ertappt, indes, es dürfte wohl Hyndman zum Trost gereicht haben, daß er diese Lage so ziemlich mit der gesamten sozialistischen Welt teilte.

In der Tat! Der dritte Band des „Kapitals“ mit der Lösung des Problems der Profitrate – des Grundproblems im Marxschen ökonomischen Gebäude – ist erst im Jahre 1893 erschienen. Und doch wurde in Deutschland wie in allen Ländern bereits mit dem unfertigen Material, das der erste Band lieferte, agitiert, die Marxsche Lehre als Ganzes wurde auf Grund des einen ersten Bandes popularisiert und angenommen, ja diese Agitation mit der teilweisen Marxschen Theorie erzielte glänzende Erfolge, und nirgends wurde eine theoretische Lücke verspürt. Noch mehr. Als der dritte Band endlich erschienen war, da erregte er zuerst in engeren Kreisen der Fachgelehrten einiges Aufsehen, rief einige Kommentare und Randglossen hervor, was jedoch die sozialistische Bewegung im ganzen betrifft, so fand der dritte Band in den weiten Kreisen, wo bereits die Gedankengänge des ersten Bandes herrschten, in Wahrheit gar keinen Widerhall. Während die theoretischen Aufschlüsse dieses Bandes bis jetzt keinen einzigen Versuch der Popularisation hervorgerufen und tatsächlich noch nirgends Eingang in weitere Kreise gefunden haben, konnte man umgekehrt sogar neulich einzelne Stimmen hören, die auf sozialdemokratischer Seite die „Enttäuschung“ der bürgerlichen Nationalökonomen über den dritten Band getreulich wiederholten und damit nur dartaten, wie sehr sie mit der „unfertigen“ Darstellung der Werttheorie, wie sie der erste Band bietet, verwachsen waren.

Wie ist eine so merkwürdige Erscheinung zu erklären?

Shaw, der, nach eignem Ausdruck, gern über andre „kichert“, hätte hier Grund, sich über die gesamte sozialistische Bewegung, soweit sie auf Marx fußt, lustig zu machen. Allein, er würde da „kichern“ über eine sehr ernste Erscheinung unsres sozialen Lebens. Die merkwürdige Begebenheit mit dem ersten und dritten Bande scheint uns nämlich ein drastischer

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[1] Eugen Böhm-Bawerk, ein österreichischer Ökonom, war Hauptvertreter der sogenannten Grenznutzenschule. Er vertrat eine vulgäre Kapital- und Zinstheorie. William Stanley Jevons, ein englischer bürgerlicher Ökonom und Philosoph, war einer der Begründer der sogenannten Grenznutzenschule. Er versuchte, mit Hilfe subjektiv-psychologischer Faktoren und mathematischer Methoden die Grundzüge eines geschlossenen, gegen den Marxismus gerichteten ökonomischen Systems zu formulieren.