Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 359

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/359

„serienweise“ Änderung der politischen Überzeugungen zu stürzen, bis es, durch den vollen Schwung aus seinem alten Geleise hinausspringend, einen plötzlichen Bogen in der Luft beschreibt und tief im Sumpf des Nationalismus steckenbleibt. Gehören doch die Geschicke des „Przedświt“ nach dem Jahre 1886/1887 schon nicht mehr so sehr zur Geschichte der polnischen sozialistischen Bewegung als vielmehr zur Geschichte der sozialistischen Emigrantenmakulatur.

Die ideologische Entwicklung des polnischen Sozialismus in der ersten Periode endet eigentlich schon mit dem Jahre 1884, das heißt in dem Moment, als die Wandlung der Partei „Proletariat“ in blanquistischer Richtung alle Konsequenzen zeigte.

Der letzte Lichtstrahl, der auf das Blatt der Geistesgeschichte des „Proletariat“ fällt und an den Augenblick des anfänglichen geistigen Aufblühens des polnischen Sozialismus erinnert, sind die Worte Waryńskis, die nicht mehr inmitten einer fieberhaften Tätigkeit, in der Parteizeitung oder auf einer Versammlung von Revolutionären verkündet wurden, sondern nach achtundzwanzigmonatiger Haft unter dem Mob von Gendarmen und Spionen im Gerichtssaal im Dezember 1885.

Aus dieser Rede scheint mit Sicherheit hervorzugehen, daß wenigstens dieser hervorragendste Vertreter des sozialistischen Denkens in Polen persönlich keiner so radikalen Veränderung seiner Anschauungen erlegen ist, wie man das in der polnischen sozialistischen Bewegung jener Epoche konstatieren kann. Es fehlen uns jedoch leider Hinweise, die gestatten würden, die eigenen Gedanken und die Tätigkeit Waryńskis von der gemeinsamen Tätigkeit seiner Gruppe sichtbar zu trennen, weshalb wir uns infolgedessen seinen Standpunkt in bezug auf die deutliche blanquistische Evolution, die im Jahre 1883, als er noch frei war, zutage trat, nicht genau klarmachen können. Auch scheint es uns schwierig, anzunehmen, daß sich Waryński selbst angesichts dieser Erscheinungen vor den Einflüssen der „Narodnaja Wolja“ hätte ganz schützen können. Denn seine damaligen Ansichten über die politischen Aufgaben der Sozialisten sind uns in den Dokumenten des Prozesses gegen die Mitglieder des „Proletariat“ leider nicht erhalten geblieben. Aber aus der Zusammenfassung seiner Rede, die wir in ihnen finden, geht immerhin mit voller Sicherheit hervor, daß sich Waryński völlig vor der Vulgarisierung der sozialistischen Theorie in ihren wichtigsten Grundsätzen bewahrt hat, daß die Grundlagen seiner Weltanschauung bis zum letzten Moment die allgemeinen Anschauungen der marxistischen Doktrin in ihrer eigentlichen Tiefe und ihrem theoretischen Gehalt waren.

Nächste Seite »