Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 358

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Die Theoretiker des „Przedświt“, die nicht verstehen, daß die sozialistische Produktion in technischer Hinsicht schon jetzt im Schoße des Kapitalismus heranreift, daß infolgedessen das siegreiche Proletariat ihre Organisation vor allem in fertiger Gestalt von der bürgerlichen Gesellschaft übernehmen wird, um auf einer historisch gegebenen Grundlage weiterzubauen, die Eigentumsverhältnisse zu reformieren usw., nahmen offensichtlich an, daß die gesellschaftliche Wirtschaft „nach der Revolution“ gewissermaßen eine Tabula rasa darstellen wird, auf der die Produktion erst nach dem „besten“ ausgedachten Plan mit vereinten Kräften der heutigen Schuster, Tischler, Schlosser usw. erneut organisiert wird.

Die rein mechanistische Auffassung des sozialistischen Umsturzes und das künstliche „Machen“ einer Revolution sind hier aus der politischen in die ökonomische Sphäre übertragen. Und es ist unbekannt, was diese vollkommene Lostrennung von der gesellschaftlichen Entwicklungstheorie und dem historischen Materialismus besser herausstellt: die Annahme, daß die „Revolution“ und der Sieg des Proletariats überhaupt möglich sind, bevor der Produktionsprozeß nicht schon so weit sozialisiert und die Produktivkräfte entwickelt sind, daß der politische Akt der Revolution nur die sie hindernden Fesseln der bürgerlichen Gesellschaftsordnung sprengt, oder die Annahme, der „Plan“ für diese sozialistische Organisation der Produktion könnte schon jetzt jederzeit ausgedacht werden – und das für jedes Arbeitsgebiet gesondert.

Die Sorge um die rechtzeitige Vorbereitung von Technikern für die zukünftige Ordnung ist die logische Ergänzung der Sorge um die „Schafotte“ für die heutigen herrschenden Dynastien, zusammengenommen aber ist das ein Bild vollkommener Verflachung der sozialistischen Theorie bis hinab zum Vulgarismus.

Nach dem Jahre 1886 beginnt die ausländische Herausgebergruppe des „Przedświt“ und der „Walka Klas“ (Klassenkampf), sich selbst überlassen, wie ein Schwungrad, das sich von seinem Mechanismus gelöst hat, über Höhen und Tiefen der verschiedensten theoretischen Anschauungen zu setzen, unterwegs – z. B. in der Broschüre „An die Offiziere der russischen Armee“ – gerät sie einen Moment sogar in den gewöhnlichsten Panslawismus hinein und wirbelt immer schneller, um schließlich in eine

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