Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 357

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Mächte ohne Anwendung von Gewalt gestürzt werden können. Es wird auch niemand leugnen, daß in revolutionären Zeiten unter anderem die Notwendigkeit eintreten kann, ein gekröntes Haupt zu beseitigen, wie das mit Ludwig XVI. der Fall war, der als Staatsverräter mit dem äußeren Feind des Landes konspirierte und dadurch als Stützpunkt der konterrevolutionären Partei für das Schicksal der Revolution eine ernsthafte Gefahr darstellte. Aber es ist zweifellos ein origineller Einfall, im „Schafott für die herrschenden Dynastien“ von vornherein ein unerläßliches und wichtiges Attribut jeder Volksrevolution zu sehen. Unwillkürlich kommen einem die Worte von Engels in den Sinn, die er einmal wegen ähnlicher revolutionärer Exzesse französischer Blanquisten ausgesprochen hat: „Zu solchen Kindereien führt es, wenn im Grund ganz gutmütige Leute dem Drang, haarsträubend zu erscheinen, freien Lauf lassen.“[1]

Jedoch hatte die „Kinderei“ der polnischen Revolutionäre in der Emigration eine bestimmte charakteristische Grundlage. Durch diese auffallenden „revolutionären“ Ideen drang die Hoffnung auf einen sehr baldigen „Ausbruch“ der sozialen Revolution im russischen Zarismus sichtbar durch und, was wichtiger ist, der sichtbare Glaube daran, daß die Garantie für einen erfolgreichen Umsturz vor allem eine reichliche und richtige Anwendung von Gewalt ist. Die Details der Anwendung von physischer Gewalt in einer künftigen Revolution, die vom Standpunkt einer Entwicklung zum Sozialismus vorläufig noch eine ziemlich gleichgültige Frage sind und vielmehr für erwachsene Menschen heute überhaupt keine Frage der Untersuchung darstellen, diese Details gewinnen vom Verschwörungsstandpunkt eine erstrangige Bedeutung. Der Glaube an die Allmacht des politischen Faktors, der den Ausgangspunkt des Blanquismus bildet, nimmt bei der Vulgarisierung der Agitation die Form des Glaubens an die Allmacht der nackten physischen Gewalt an – der Barrikaden, „Schafotte“, „Dreschflegel und Rungen“.

Ein nicht minder charakteristisches Symptom ist z. B. der zweite Einfall des „Przedświt“ aus derselben Periode, nämlich seine Agitation für eine „Fachausbildung“ der Arbeiter, um sie zu befähigen, „sofort nach der Revolution“ die Produktion zu organisieren.[2]

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[1] Friedrich Engels: Flüchtlingsliteratur. II. Programm der blanquistischen Kommuneflüchlinge. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 18, S. 534.

[2] „Unser ‚Przedświt‘ wird stets gern jede Hilfe leisten – Einmal schreibt uns ein Tischler, wie sich seiner Meinung nach die Tischler nach der Revolution einzurichten haben werden, ein andermal schreibt uns ein Schuhmacher, dann wiederum wird uns ein Schlosser seine Gedanken sagen. Was uns nicht gefällt, das schreiben wir.“ (Przedświt, 1885, Nr. 2.) Interessant ist, wie infolge dieser eiligen Vorbereitung auf die „Revolution“ das Verständnis für die einfachsten Tatsachen der Arbeiterbewegung des Auslandes verlorenging. Die ausländische Gewerkschaftspresse, die in Deutschland wie überall das Organ des täglichen ökonomischen Kampfes war, schien dem „Przedświt“ eine journalistische Schule zur Ausbildung von Verwaltern der Produktion in der zukünftigen Ordnung zu sein. „Wir sehen deshalb auch“, schreibt sie, „wie die Arbeiter im Ausland Fachzeitschriften herausgeben, mit deren Hilfe sie sich darauf vorbereiten, in Zukunft das Steuer der Regierung und der Wirtschaft in ihre Hände nehmen zu können.“ (l. c.) [Fußnote im Original]