Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 332

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riode den Gesamtzyklus ihrer Herrschaft durchläuft, daß sie „nach ihrem Bild und Ebenbild“ die politischen Verhältnisse der kapitalistischen Länder umwandelt, worauf die revolutionäre Welle das Kleinbürgertum in einer spontanen Bewegung an ihre Stelle setzt und schließlich das Proletariat, welches auf diese Weise, unmittelbar an die Ergebnisse der bürgerlichen Revolution anknüpfend, berufen sein wird, den Umsturz im Geiste seiner Klassenemanzipation zu vollenden.

Durch die geschichtliche Erfahrung belehrt, können wir heute den ganzen Optimismus dieser Anschauung beurteilen. Wir wissen, daß die europäische Bourgeoisie gleich nach dem ersten revolutionären Sturm den Rückzug antrat und, nachdem sie ihre eigene Revolution abgewürgt hatte, die Gesellschaft zum „normalen“ Leben unter ihrer Herrschaft zurückkehrte, wir wissen auch, daß die damaligen ökonomischen Bedingungen in Europa noch sehr weit von dem Reifegrad entfernt waren, der einen sozialistischen Umsturz ermöglicht hätte. Der Kapitalismus bereitete sich damals nicht auf den Tod vor, sondern im Gegenteil auf den Beginn seiner eigentlichen Herrschaft. Dadurch verlängerte sich auch die Phase, die die Kommunisten des Jahres 1848 nur einige Jahre von der Diktatur des Proletariats zu trennen schien, zu einer Epoche von mehr als einem halben Jahrhundert, die sogar noch heute nicht ihrem Ende entgegengeht.

Der Grund jedoch, der Marx und Engels schon damals zur Aufstellung eines Aktionsprogramms veranlaßte, das direkt auf die Arbeiterrevolution abzielte, war nicht der Wunsch oder die Hoffnung, die Phasen der bürgerlichen Herrschaft zu „überspringen“, sondern allein die falsche Einschätzung des wirklichen Tempos der gesellschaftlichen Entwicklung unter dem Einfluß der Revolution. Unter den Bedingungen der Tätigkeit des „Proletariat“ ist es schwer, analoge Umstände für die Erklärung des Programms zu finden. Wenn wir also seinen Forderungen den Charakter eines der Übergangsepoche angepaßten Programms zuzuschreiben hätten, so bliebe nur die Vermutung, daß sich das „Proletariat“ den blanquistischen Standpunkt wirklich schon in einem gewissen Maße zu eigen gemacht hatte.

Es muß aber festgestellt werden, daß, abgesehen von diesem formalen Durcheinander endgültiger und unmittelbarer Forderungen, das Programm des „Proletariat“ im ganzen durch und durch vom Geiste der sozialdemokratischen Weltanschauung durchdrungen ist. Das beweist der starke Nachdruck, der auf der Idee liegt, daß der sozialistische Umsturz nur das Werk der Arbeiterklasse sein kann, daß nur der Massenkampf, die Organisation des Proletariats und seine Aufklärung fähig sind, die Bedingungen der künftigen Gesellschaftsordnung vorzubereiten. Die Idee der Mas-

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