Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 331

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schen Forderungen ähneln mit Ausnahme der ersten, die nicht ganz verständlich ist, den gewöhnlichen Minimalprogrammen der sozialdemokratischen Parteien. Doch gerade die Zusammenstellung dieser Forderungen als Koordinaten der Forderungen des sozialistischen Umsturzes weckt die Vermutung, daß sie nicht unmittelbar auf die jetzige bürgerliche Ordnung berechnet waren. Gleichzeitig ist es zweifelhaft, ob sie sich auf die sozialistische Gesellschaft beziehen sollten, da sie in dieser Hinsicht zuviel Rücksicht auf die gegenwärtige, auf der Ungleichheit der Klassen, Geschlechter und Nationalitäten beruhende Ordnung verraten. Vielleicht haben wir hier also kein Minimalprogramm, sondern ein Programm, das vielmehr auf die Übergangsperiode nach der Machtergreifung durch das Proletariat berechnet ist und das darauf abzielt, den sozialistischen Umsturz zu eröffnen.

Das Muster eines ähnlichen Programms, das sowohl politisch-demokratische Forderungen als auch Reformen des Umsturzes im Geiste des Sozialismus in eine Reihe stellt und das für die Übergangsphase unmittelbar nach der Revolution gedacht ist, finden wir z. B. in den „Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland“, die von der Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten im Jahre 1848 in Paris formuliert wurden und unter anderen die Unterschriften von Marx und Engels tragen.[1]

Man muß jedoch hervorheben, daß das obige Programm keinesfalls ein Ausdruck blanquistischer Taktik von seiten der Schöpfer des Kommunistischen Manifestes gewesen ist, wie das z. B. Ed. Bernstein behauptet. Zu seinem Verständnis genügt es, den Umstand zu berücksichtigen, daß Marx und Engels dieses Programm unter dem frischen Eindruck der Februarrevolution in Frankreich und im Augenblick des Ausbruchs der Märzrevolution in Deutschland formulierten. Es ist bekannt, daß beide den revolutionären Schwung der Bourgeoisie überschätzten und damit rechneten, daß die europäische Bourgeoisie, einmal in den Wirbel der revolutionären Bewegung geraten, im Laufe einer kürzeren oder längeren Pe-

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[1] Diese Forderungen lauten in den Hauptpunkten:

1. Ganz Deutschland soll zu einer unteilbaren Republik erklärt werden.

4. Allgemeine Volksbewaffnung.

11. Alle Transportmittel wie Eisenbahnen, Kanäle, Dampfschiffe, Wege, Postämter etc. nimmt der Staat in seine Hand. Sie werden in Staatseigentum umgewandelt und der unbemittelten Klasse zur Verfügung gestellt.

16. Einrichtung von Nationalwerkstätten. Der Staat garantiert allen Arbeitern ihre Existenz und sorgt für die Arbeitsunfähigen.

17. Allgemeine, unentgeltliche Erziehung.

Siehe Karl Marx: Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln; Einleitung von Friedrich Engels, 1885, S. 11 f. [Karl Marx, Friedrich Engels: Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland. In:. Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 5, S. 3–5.] [Fußnote im Original]