Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 314

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/314

heute nicht möglich, genau zu klären, inwieweit sich das auf die mehr oder minder zahlreichen Mitglieder der Gruppe „Równość“ anwenden läßt. Da sie indessen schnell zu reiferen politischen Anschauungen gelangte, muß man annehmen, daß die anarchistischen Schwankungen von Anfang an eher eine Erscheinung verschiedenartiger Ansichten innerhalb der Gruppe selbst waren.

Jedenfalls ist in dieser Hinsicht die in der „Równość“ geäußerte Meinung charakteristisch, wonach die staatspolitischen Bedingungen in jedem Lande vom Gesichtspunkt der internationalen Bestrebungen des Sozialismus einzig und allein ein Hindernis sind. Die Schaffung besonderer sozialistischer Parteien entsprechend den besonderen Bedingungen sowie auch der politische Kampf werden nur als ein malum necessarium angesehen: „Das Ideal bleibt für uns immer die internationale Vereinigung, und wenn die bestehenden politischen Bedingungen einer breiten internationalen Organisation keine Hindernisse entgegensetzen, wenn sie nicht einen Teil der sozialistischen Kräfte für den Kampf gegen die Regierung absorbieren würden, so wären ausschließlich die ökonomischen Bedingungen die Grundlage einer allgemeinen sozialistischen Organisation.“[1]

Was sich hieraus bestenfalls ergibt, ist die Tatsache, daß der organische Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Wirtschaft und den staatlichen Institutionen damals zumindest für einige Führer der „Równość“ ein völliges Geheimnis war, ebenso wie der fundamentale Grundsatz, daß jeder Klassenkampf von Natur aus ein politischer Kampf ist. Damit steht im direkten Zusammenhang, daß die „Równość“ in ihrer Sehnsucht nach internationaler Vereinigung als dem „Ideal“ nicht begriffen hat, daß der Zusammenbruch dieser Vereinigung und an ihrer Stelle die Bildung einzelner Arbeiterparteien in jedem Staat auf einer gewissen Stufe in der Entwicklung des sozialistischen Kampfes eine notwendige, fortschrittliche Erscheinung war.

Eine entscheidende Wende in der programmatischen Haltung der polnischen Sozialisten erfolgte jedoch, wie wir bereits sagten, überaus schnell. Den Übergang zur zweiten Phase einer deutlichen Gestaltung des Programms unter dem Einfluß von Waryński sehen wir bereits im Sommer 1881, und das Programm der galizischen Arbeiter, nämlich der erste Jahrgang des „Przedświt“ (Morgenröte), zeigt uns schon den Gedanken der Begründer des „Proletariat“ in seiner vollen Reife. Insbesondere tritt die politische Seite des Programms in aller Klarheit hervor.

Einerseits kommt hier der internationale und antinationalistische Stand-

Nächste Seite »



[1] l. c.. Nr. 3 vom Januar u. Nr. 4 vom Februar 1881. [Fußnote im Original]