Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 313

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noch dazu bereit sind. Aber wir polnischen Sozialisten haben mit ihnen nichts gemein! Patriotismus und Sozialismus, das sind zwei Ideen, die sich auf keine Weise in Einklang bringen lassen.“[1]

„Was die heutige Versammlung von den vielen vorangegangenen unterscheidet“, sagt Ludwik Waryński auf einer Versammlung in Genf im November 1880, „das ist die Art, in welcher wir polnischen Sozialisten und Ihr, unsere russischen Genossen, einander gegenüberstehen. Wir treten Euch, den bedrückten Untertanen des russischen Staates, gegenüber nicht auf als Kämpfer für einen zukünftigen polnischen Staat, sondern treten Euch, den Vertretern des russischen Proletariats, gegenüber als Vertreter und Verteidiger des polnischen Proletariats auf.“[2] „Heute“, so schließt Waryński, „sind uns die Ideale slawischer Föderationen, von denen Bakunin träumte, fremd, gleichgültig sind uns diese oder jene Grenzen des polnischen Staates, unserer Patrioten Aufgaben. Unser Vaterland ist die ganze Welt. Wir sind keine Verschwörer der dreißiger Jahre[3], die sich gegenseitig suchen, um ihre zahlenmäßige Stärke zu vergrößern. Wir sind nicht die Kämpfer des Jahres 1863, die von dem gleichen Haß gegen den Zarismus erfüllt sind und auf dem Feld des nationalen Kampfes sterben. Wir stellen weder einander feindlich gesinnte Staaten noch einander feindliche Nationalitäten dar. Wir sind Landsleute, Angehörige einer großen Nation, die unglücklicher als Polen ist, der Nation der Proletarier.“[4] Und noch kategorischer als ihr Vertreter Waryński in der obigen Ansprache verkündet die „Równość“ zur selben Zeit in ihrem Leitartikel: „Wir haben ein für allemal mit den patriotischen Programmen Schluß gemacht; wir wollen weder ein adliges noch ein demokratisches Polen, und nicht nur, daß wir es nicht wollen, wir sind sogar fest davon überzeugt, daß der Kampf um die Wiederherstellung Polens durch das Volk heute eine Absurdität ist.“[5]

Außer dem rein internationalen Standpunkt, der zwar unter den besonderen Bedingungen unseres Landes eine positivere politische Bedeutung als in anderen Ländern hatte, verriet der damalige polnische Sozialismus, der den politischen Kampf überhaupt nicht berücksichtigte, wenn auch unbewußt, eine gewisse Verwandtschaft mit dem Anarchismus. Es ist uns

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[1] l. c., Nr. 2 vom November 1879. [Fußnote im Original]

[2] Sprawozdanie z miẹdzynarodowego zebrania, zwolanego w 50-letnią rocznice Listopadowego powstania, Genf 1881, S. 77. [Fußnote im Original]

[3] Eine Militärrevolte vom 29. November 1830 in Warschau verwandelte sich in einen Volksaufstand gegen die zaristische Fremdherrschaft. Mit der Einnahme von Warschau am 7. September 1831 durch zaristische Truppen wurde der Aufstand niedergeworfen.

[4] l. c., S. 83. [Fußnote im Original]

[5] Równość Nr. 1 vom November 1880. [Fußnote im Original]