Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 312

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Vereinigungen mit den Sozialisten aller Länder“. In bezug auf die praktische Tätigkeit enthält das Programm nur die ziemlich rätselhafte Erklärung, daß „der Grundsatz unserer Tätigkeit die moralische Übereinstimmung der Aktionsmittel mit dem gesteckten Ziel“ ist, und nennt ganz allgemein als „Mittel, die zur Entwicklung unserer Partei beitragen“: die Organisation der Volkskräfte, die mündliche und schriftliche Propaganda der Grundsätze des Sozialismus sowie die Agitation, „das heißt Proteste, Demonstrationen und überhaupt den aktiven Kampf gegen die gegenwärtige Gesellschaftsordnung im Geiste unserer Prinzipien“.

Schließlich lesen wir dort noch die Bemerkung, daß angesichts der Unwirksamkeit legaler Mittel dieses Programm „nur auf dem Wege der sozialen Revolution“[1] erreicht werden kann. In dem Programm finden wir weder politische noch überhaupt direkte oder vorläufige Forderungen. Dementsprechend unterscheidet die Gruppe „Równość“ in ihrem Programm nicht zwischen den drei Teilungsgebieten Polens[2] sondern wendet ihre Grundsätze und ihre Agitation gleichermaßen auf Galizien, auf das Gebiet Posen und das Königreich an. Wenn sich nämlich die Sozialisten kein Programm direkter Forderungen geben, das den jeweiligen Bedingungen des Landes angepaßt ist, sondern nur ganz allgemein durch die „Organisation“ der Arbeiter geradewegs auf die internationale soziale Revolution zustreben, so können die verschiedenen staatspolitischen Bedingungen der drei Teilungsgebiete natürlich keine Rolle spielen und irgendeinen Unterschied bewirken. Ja das Programm der „Równość“ konnte sich ebenso gut oder schlecht nicht nur auf diese Teilungsgebiete Polens beziehen, sondern auch auf England, Frankreich oder Deutschland.

Der politische Standpunkt des Sozialismus kommt in seinem damaligen Stadium nur in einer Hinsicht sehr deutlich zum Ausdruck, und zwar in seiner ablehnenden Haltung zum Nationalismus, in seinem rein internationalen Standpunkt.

In dem Leitartikel der „Równość“ unter dem Titel „Patriotismus und Sozialismus“ lesen wir:

„Von den patriotischen Parteien sind nur einzelne Gruppen übriggeblieben, die von dem Glauben beseelt sind, daß sie doch noch das Banner der ‚Freiheit für das Vaterland‘ aufrichten werden, daß sie sich noch ein letztes Mal in den Kampf mit dem Feind stürzen und dann das ihnen teure Vaterland wiedererlangen! Wir wollen alle echten Gefühle dieser Menschen achten, die für ihr Vaterland zu jedem Opfer bereit waren und auch heute

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[1] Równość Nr. 1 vom Oktober 1879. [Fußnote im Original]

[2] Im Ergebnis der drei Teilungen Polens von 1772, 1793 und 1795 waren die Westgebiete an Preußen und Galizien samt Krakau an Österreich gegangen, das sogenannte Kongreßpolen bzw. „Königreich Polen” wurde auf dem Wiener Kongreß von 1815 in Personalunion mit Rußland verbunden. Nach dem niedergeschlagenen polnischen Aufstand von 1863 behandelten die zaristischen Behörden jedoch die annektierten polnischen Gebiete nicht mehr weiter als »Königreich«, sondern als bloße Provinzen, die sie administrativ aufspalteten. Die Bezeichnung „Polen“ wurde verboten und nur noch vom „Weichselland“ gesprochen. Zugleich wurde eine Politik der „Russifizierung“ verfolgt. – Im Ausland galt »Kongreßpolen« weiterhin als Synonym für den russisch besetzten Teil Polens. Rosa Luxemburg und Leo Jogiches hingegen zogen den Begriff vom 1867 aufgelösten »Königreich Polen« vor, der einerseits die Gleichberechtigung Polens gegenüber Rußland betonte, andererseits die Unabhängigkeit von den Signatarmächten des Wiener Kongresses – „Kongreßpolen“ – signalisierte. Dementsprechend nannten sie ihre 1893 gegründete Partei „Sozialdemokratie des Königreiches Polen“ (SDKP). 1900 wurde daraus die „Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauens“ (SDKPiL).