Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 301

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Märzrevolution, ihrer geschichtlichen Grundlage und ihrer politischen Ergebnisse.

Die Taktik der „Neuen Rheinischen Zeitung“ war auf einen Moment zugeschnitten, in dem die moderne Bourgeoisie auf der politischen Bühne ihr erstes Debüt machte. In diesem Augenblick an den Ernst ihres Kampfes gegen den Feudalismus find an die Möglichkeit zu glauben, sie durch die entschlossene Haltung eines linken, sozialistischen Flügels voranzutreiben, war das Recht und die Pflicht jedes echten Revolutionärs und praktischen Politikers. Ferner war es obendrein ein Moment der Revolution und nicht der normalen Verhältnisse. Daß die Marxsche Taktik tatsächlich auch in der damaligen Situation nur auf den Moment der revolutionären Tat berechnet war, beweist der Umstand, daß Marx und Engels sowohl vor wie nach der Märzrevolution in ihren Schriften und Reden seit Mitte der 40er Jahre eine ganz andre, eine ausgesprochene Klassenpolitik des Sozialismus und nicht die der bürgerlichen Demokratie führten.

Aber es kommt noch ein Drittes hinzu: nämlich die damalige eigentümliche Auffassung, die Marx und Engels von der Märzrevolution hatten, die Hoffnungen auf die sogenannte „Revolution in Permanenz“, die Erwartungen, daß die bürgerliche Revolution nur ein erster Akt wäre, dem sich die kleinbürgerliche und schließlich die proletarische unmittelbar anschließen würden. Noch die Marxsche „Ansprache der Zentralbehörde“ vom Jahre 1850 legt davon Zeugnis ab. In diesem Sinne erscheint die Haltung der „Neuen Rheinischen Zeitung“ nur als eine wohlüberlegte, kluge Taktik, die darauf hinausging, die bürgerliche revolutionäre Erhebung als eine Vorstufe für die schließliche proletarische zu benutzen, sie an die Grenze voranzutreiben, an der sie versagen und einem zweiten, radikaleren Kreislauf der Revolution Platz machen müßte. Von diesem Gesichtspunkt gesehen, war die Taktik der „Neuen Rheinischen Zeitung“ nicht eine Abdankung des Sozialismus, um der Herrschaft der Bourgeoisie Vorspanndienste zu leisten, sondern, umgekehrt, eine bewußte Benutzung der Herrschaft der Bourgeoisie als einer kurzen, höchstens auf einige Jahre berechneten Vorstufe des proletarischen Sieges.

Und endlich noch eins: Eine selbständige sozialistische Arbeiterpartei existierte dazumal gar nicht. Der deutsche Sozialismus reduzierte sich in den 40er Jahren auf einige Flüchtlingskolonien in Brüssel, London und Paris, einige kurzlebige sozialistische Zeitschriften in Deutschland und einige lose Arbeiterzirkel in den Rheinlanden. Die „Neue Rheinische Zeitung“ konnte also nicht in der Märzrevolution vertreten, was tatsächlich nicht da war: eine gesonderte Klassenpolitik des Proletariats.

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