Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 300

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/300

tums ein dürftiges Leben fristet. Damit hat die polnische Frage für das moderne Proletariat ein ganz anderes Gesicht bekommen, wie sie im Jahre 1848 hatte. Polen ist längst nicht mehr die einzige Angriffsfläche, die der zarische Despotismus der Revolution bietet; wie die anderen Teilungsmächte hat Rußland die Revolution längst im eigenen Leibe. Wollte das polnische Proletariat die Wiederherstellung eines polnischen Klassenstaats auf seine Fahne schreiben, eines Klassenstaats, von dem die herrschenden Klassen selbst nichts wissen wollen, so würde es ein historisches Fastnachtsspiel aufführen, was wohl besitzenden Klassen passieren mag, wie dem polnischen Adel im Jahre 1791, aber der arbeitenden Klasse nie passieren darf. Taucht diese reaktionäre Utopie nun gar auf, um diejenigen Schichten der Intelligenz und des Kleinbürgertums, in denen die nationale Agitation noch einen gewissen Widerhall findet, der proletarischen Agitation geneigt zu machen, so ist sie doppelt hinfällig als Ausgeburt jenes verwerflichen Opportunismus, der um nichtiger und wohlfeiler Augenblickserfolge willen die dauernden Interessen der Arbeiterklasse preisgibt.

Diese Interessen gebieten durchaus, daß die polnischen Arbeiter in allen drei Teilungsstaaten mit ihren Klassengenossen ohne jeden Rückhalt Schulter an Schulter kämpfen. Die Zeiten sind vorüber, wo eine bürgerliche Revolution ein freies Polen schaffen konnte; heute ist die Wiedergeburt Polens nur möglich durch die soziale Revolution, in der das moderne Proletariat seine Ketten bricht.“[1]

Vor allem scheint uns jedoch der allgemeine Standpunkt der „Neuen Rheinischen Zeitung“ einer kritischen Analyse wert zu sein.

Daß diese Stellung der „Neuen Rheinischen Zeitung“ in den tatsächlichen Verhältnissen, in der geschichtlichen Situation der Märzrevolution ihre ausreichende Erklärung findet, hat bereits Engels selbst klar und offen gezeigt. Was aber aus der Politik Marxens in jenem historischen Moment als Lehre für die heutige Sozialdemokratie hervorgeht, sollten sich namentlich diejenigen in Frankreich und allerorten merken, die heute für den Beruf der Sozialdemokratie genau das erklären, was die „Neue Rheinische Zeitung“ 1848/1849 tat: die Rolle des linken Flügels der bürgerlichen Demokratie zu spielen. Wenn etwas diese Großmutsgedanken auf Kosten des proletarischen Klassenkampfes in ihrer ganzen Richtigkeit erweisen kann, so ist es das Studium der Marxschen Taktik in der

Nächste Seite »



[1] Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Herausgegeben von Franz Mehring. Bd. III: Gesammelte Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels. Von Mai 1848 bis Oktober 1850. Stuttgart 1902. S. 44.