Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 295

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alle Fragen, die er behandelt, stets in ihren größten dialektischen Zusammenhängen, von den umfassendsten historischen Gesichtspunkten beleuchtet. Dieser Zug ist es, der, abgesehen von allem Sachlichen, die hohe Bedeutung der Veröffentlichung des Nachlasses für unsre Zeit ausmacht, gerade gegenüber dem heutigen Hang zur Loslösung des Sozialismus von allen großen Gesichtspunkten, zur Reduzierung der sozialistischen Theorie auf ein paar hausbackene nüchtern-platte Wahrheiten, die sogar ein deutscher Professor der Nationalökonomie zu erfassen imstande ist, gegenüber der zum Prinzip erhobenen Gedankenkleinheit und der als Methode erklärten Zaghaftigkeit des empirischen Tastens.

Auch zwei Fragen der praktischen Politik des Sozialismus hebt Mehring in diesem wie im dritten Bande seiner Ausgabe hervor, die von Marx und Engels in den 40er Jahren ganz anders beurteilt wurden, als es heute in der Sozialdemokratie geschieht, und die von den Verfassern des Kommunistischen Manifests selbst später revidiert worden sind. Es sind dies die Frage des Schutzzolls und die der Zehnstundenbill. Eigentlich scheint es uns richtiger zu sein, von Engels allein und nicht auch von Marx dabei zu reden, denn die einschlägigen Artikel rühren lediglich von Engels her, und in einer der beiden Fragen hat sich Marx in seiner Brüsseler Rede über den Freihandel mit solcher Klarheit und Schärfe des Gedankens ausgesprochen, daß eine gleichzeitige Schwankung im schutzzöllnerischen Sinne seinerseits fast ausgeschlossen erscheint. Der Hinweis Mehrings darauf, daß Engelsʼ Stellung zugunsten des Schutzzolles nur eine logische Ergänzung zur Marxschen Brüsseler Freihandelsrede wäre, da Marx von England, Engels dagegen von Deutschland sprach, welche Länder dazumal zwei verschiedene Stadien der kapitalistischen Entwicklung darstellten, dieser Hinweis trifft unsres Erachtens aus dem einfachen Grunde nicht zu, weil ja Marx gleichzeitig auf dem Brüsseler Ökonomistenkongreß von 1847 auch den durch Rittinghausen vertretenen schutzzöllnerischen Standpunkt für Deutschland mit aller Schärfe verworfen hatte, was in der Rede Weerths sowie in seinen eignen Notizen in der „Deutschen-Brüsseler-Zeitung“ deutlich zum Ausdruck kam.

Einem Versuch, auch nur diese Engelsschen abweichenden Ansichten aus den 40er Jahren heute etwa im Sinne der Schippelschen Auffassung zugunsten schutzzöllnerischer Sympathien[1] zu fruktifizieren, hat jedenfalls Mehring selbst mehrfach – vor einigen Monaten in der „Neuen Zeit“[2]

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[1] In seinem unter dem Pseudonym Isegrim veröffentlichten Artikel „War Friedrich Engels milizgläubisch?“ in den „Sozialistischen Monatsheften“, dem theoretischen Organ der Revisionisten, vom November 1898, versuchte Max Schippel, die revolutionäre antimilitaristische Haltung der Sozialdemokratie zu revidieren. Er vertrat die Schutzzollpolitik, die die großen Land- und Industriemonopolisten stärkte und die Interessengegensätze zwischen den Nationen vertiefte.

[2] Franz Mehring: Episoden des Zollkrieges. In: Die Neue Zeit (Stuttgart). 20. Jg. 1901/02, Erster Band, S. 129–132.