Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 296

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und ferner in seinen Erläuterungen zum zweiten wie zum dritten Bande seiner Ausgabe – genügend vorgebaut. Im Gegenteil, mit voller Klarheit weist er nach, daß gerade die tatsächlichen Voraussetzungen, die Engels vor einem halben Jahrhundert zu seinen schutzzöllnerischen Irrtümern geleitet haben, heute, in einer direkt umgekehrten Lage, den Freihandel als die einzige mögliche Konsequenz ergeben. Wir glauben jedoch, daß man hier den Versuch, die damaligen Ansichten von Marx und Engels zu einem logischen Ganzen zu vereinigen, auf sich beruhen lassen muß.

Auch in der Frage der Zehnstundenbill scheint uns das Kommunistische Manifest vom Jahre 1847, wenn auch in knapper Form, wesentlich denselben Standpunkt zu vertreten wie die von Marx verfaßte Inauguraladresse vom Jahre 1864, nämlich den Standpunkt, daß die gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit eine fortschrittliche Reform im Sinne der kapitalistischen Entwicklung sei, „die Anerkennung einzelner Interessen der Arbeiter in Gesetzesform“[1], wie das Manifest sagt, also genau das, was die Inauguraladresse nachher den Sieg eines neuen Prinzips[2] geheißen hat. Die Äußerungen Engelsʼ dagegen in der „Heiligen Familie“ und später im Jahre 1850 in der „Neuen Rheinischen Revue“[3], wonach die englische Zehnstundenbill ein reaktionäres Attentat auf die kapitalistische Entwicklung, eine Fessel der Industrie wäre, eine Maßregel, die nur nach der proletarischen Revolution durchgeführt werden könnte, lassen sich u. E. mit jenen beiden Kundgebungen des Marxschen Gedankens nicht harmonisch verbinden. Die Erklärung für das Engelssche befremdende Urteil scheint uns in dem Umstand nahezuliegen, daß Engels hier die besonderen politischen Verhältnisse, unter denen das Zehnstundengesetz in England zustande gekommen war, die zweifellos damit verbundenen reaktionären Absichten der Tory-Partei mit der objektiven geschichtlichen Bedeutung dieser Reform verwechselte. Immerhin, mag auch die Frage, wie war eine so frappante Abweichung Engels’ in zwei wichtigen Problemen von der Marxschen Auffassung in einem bestimmten Augenblick möglich, ein persönliches Interesse haben, uns scheint jedenfalls die Tatsache wichtig, daß Marx sowohl in der Handelspolitik wie in der Beurteilung der sozia-

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[1] Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 4, S. 471.

[2] Siehe Karl Marx: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation, gegründet am 28. September 1864 in öffentlicher Versammlung in St. Martinʼs Hall, Long Arc, in London. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 16, S. 11.

[3] Rosa Luxemburg meint die „Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue“, Viertes Heft, 1850, in der Friedrich Engelsʼ Artikel „Die englische Zehnstundenbill“ erschienen war. (Siehe Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 7, S. 233–243.)