Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 289

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kratie, die einzige Partei, die bis jetzt konsequent an der ungekürzten Forderung der gesetzlichen achtstündigen Arbeitszeit festhielt, sie selbst in die weite Ferne, hinter eine andere nächste Forderung, rückt und somit ihre Unausführbarkeit für jetzt zugibt, diese Reform für die bürgerliche Gesellschaft erst recht nicht mehr in Betracht kommt. Durch das Hinausschieben des Achtstundentags in die weitere Ferne, hinter die nächste Forderung des Zehnstundengesetzes, scheidet der Achtstundentag – darüber dürfen wir uns nicht täuschen – tatsächlich aus dem Bereiche unserer praktischen Politik aus.

Der achtstündige gesetzliche Arbeitstag gehört aber zu den Forderungen unseres Minimalprogramms, das heißt, er ist das allergeringste Minimum an sozialer Reform, das wir als Vertreter der Arbeiterinteressen von dem heutigen Staate zu fordern und zu erwarten die Pflicht haben. Die Zerstückelung auch dieser Minimalforderungen in noch kleinere Brocken widerspricht unserer gesamten Taktik. So fordert die Sozialdemokratie nicht etwa zunächst die Herabsetzung des Wahlzensus, um die Abschaffung des Zensus vorzubereiten, oder die einjährige Dienstzeit, um das Milizsystem in die Wege zu leiten, oder die Verminderung der Lebensmittelzölle, um die Abschaffung der Lebensmittelzölle anzubahnen. Ungekürzt stellen wir unsere Minimalforderungen auf, und wenn wir auch jede Abschlagszahlung akzeptieren, so überlassen wir doch den bürgerlichen Parteien selbst, unsere Forderungen ihren Tagesinteressen anzubequemen.

Schlagen wir hingegen den von unserer Fraktion in der Angelegenheit des Achtstundentages betretenen Weg ein, dann hören wir auf, die Partei des weitgehendsten sozialen Fortschritts zu sein. Denn in der Tat, wie stehen wir schon jetzt mit unserer Forderung des allgemeinen zehnstündigen Arbeitstages im Reichstag da, angesichts der Petition des christlichen Bergarbeiterverbandes in Oberschlesien, die den achtstündigen Arbeitstag fordert? Und vor allem, in welche Lage stellen wir unsere Gewerkschaften, die bereits um die neunstündige, achtstündige Arbeitszeit kämpfen und sie hier und da bereits durchgesetzt haben?

Dieses Auswechseln unserer Minimalforderungen in eine noch kleinere Scheidemünze bürgerlicher Forderungen, wie wir sie in der behandelten Frage beobachten, ist noch, abgesehen von allen praktischen Rücksichten, aus dem Grunde betrübend, weil ihm ein gefährlicher Zug zugrunde liegt. Aus den Äußerungen unserer Abgeordneten Rosenow, Edm. Fischer u. a. ließ sich zweifellos heraushören, daß unsere Fraktion sich einfach von der angeblichen Aussichtslosigkeit des Achtstundengesetzes im heutigen Reichstag hat hypnotisieren lassen. Würden wir aber anfangen, selbst an die

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