Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 256

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wieder, der die Sozialdemokratie in den Parlamenten nicht schlechthin „Arbeiterpolitik“, sondern nur solche Arbeiterpolitik machen läßt, die sich in der Richtung des Klassenkampfcharakters der Partei bewegt. Von diesem Gesichtspunkt aus finden die verschiedenen Antinomien zwischen Sozialdemokratie und Arbeiterpolitik ihre ganz selbstverständliche Lösung.

Wie steht es aber mit der Gewerkschaftsbewegung? Diese ist in Deutschland in geschichtlichem Zusammenhang und geistiger Einheit mit der Sozialdemokratie groß geworden, und die Bestrebungen, sich von der Partei zu emanzipieren, sind verhältnismäßig jüngeren Datums. Sie steht im großen und ganzen, soweit sie in den großen Verbänden organisiert ist, auf dem Boden des Klassenkampfes, und der deutsche Polizeistaat sorgt unermüdlich durch gesetzgeberische Attentate, wie das preußische Vereinsgesetz[1] und die Zuchthausvorlage[2], durch Löbtauer Urteile[3] und sinnige Auslegung des Erpressungsparagraphen, dafür, der Gewerkschaftsbewegung diesen Klassenkampfcharakter einzupauken. Immerhin hat das riesige Anwachsen der gewerkschaftlichen Bewegung – in den Jahren des Aufschwungs haben die Gewerkschaften ihre Mitgliederzahl verdreifacht, ihre Einnahmen fast verzehnfacht und ihre Ausgaben verfünffacht – den Bestrebungen der „Neutralität“ täglich Nahrung gegeben, und die andere Strömung, die auf Emanzipation vom sozialdemokratischen Denken hinzielende Bewegung, ist bereits unverkennbar geworden. Weniger der überspannte Machtdusel der Überökonomisten vom Schlage der Kampffmeyer ist den Gewerkschaften zu Kopf gestiegen als der Gedanke, „durch einheitliche Zusammenfassung aller gewerkschaftlichen Bestrebungen die rein wirtschaftlichen Ziele der Bewegung in ungeahnter Weise ihrem Ziele näher zu bringen. Zugleich hat sich mit der Füllung der Kassenschränke eine Erscheinung geltend gemacht, für die der Pfarrer Naumann[4] sofort einen feinen Fühler hatte. Er machte die Bemerkung, daß durch die Aufhäufung von großen, aus Arbeitergroschen mühsam zusammengebrachten Geldmitteln das Verantwortlichkeitsgefühl der leitenden Personen in den Gewerkschaften wachse und die Streiklust sogar bei den Organisierten

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[1] Durch das preußische Vereinsgesetz waren politische Vereine Beschränkungen unterworfen, die in bezug auf Arbeiterorganisationen besonders streng gehandhabt wurden. So war z. B. Jugendlichen und Frauen die Teilnahme an politischen Vereinen und deren Versammlungen untersagt. Diese Bestimmungen wurden von Polizei- und Justizbehörden oft dazu benutzt, auch die Arbeit der Gewerkschaftsorganisationen, die gesetzlich nicht als politische Vereine galten, durch willkürliche Auslegung des Vereinsgesetzes zu behindern.

[2] Am 20. Juni 1899 hatte die Regierung im Reichstag einen Gesetzentwurf „zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse“, die sogenannte Zuchthausvorlage, eingebracht, die sich gegen die zunehmende Streikbewegung richtete und die Beseitigung des Koalitions- und Streikrechts der Arbeiter bezweckte. Auf Grund gewaltiger Massenaktionen konnte diese Vorlage am 20. November 1899 im Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen zu Fall gebracht werden. Dieser Gesetzentwurf geht auf einen Geheimerlaß vom 11. Dezember 1897 zurück, den der „Vorwärts“ am 15. Januar 1898 veröffentlicht hatte.

[3] Am 3. Februar 1899 waren vom Dresdener Schwurgericht neun Arbeiter aus Löbau wegen geringer Vergehen zu insgesamt 53 Jahren Zuchthaus, 8 Jahren Gefängnis und 70 Jahren Ehrverlust verurteilt worden.

[4] Friedrich Naumann, evangelischer Theologe, Gründer des Nationalsozialen Vereins, versuchte auf kleinbürgerlich-reformerischem Weg mit sozialliberalen Phrasen die Arbeiterklasse mit dem imperialistischen Staat zu versöhnen. Er arbeitete eng mit dem Finanzkapital zusammen und hatte Verbindungen zu sozialreformerischen Führern der deutschen Sozialdemokratie.