Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 257

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selbst in dem Maße abnehme, je größere Mittel sie bei einem Kampf zu riskieren haben. Naumann empfahl daher die Gewerkschaften dem Schutze einer staatserhaltenden, staatsmännischen Gesetzgebung, um ihre organische Verfettung zu fördern und die also zur Staatstreue gezähmten Organisationen für seine nationalsozialen Zukunftsprojekte verwerten zu können. Das Schlagwort von der „positiven Arbeit“ fand auch bei den Gewerkschaftlern zahlreiche Anhänger, und die deutsche Gewerkschaftsbewegung des letzten Jahrzehnts hat in der einseitigen Macht- und Erfolgspolitik viel erheblichere Erscheinungen aufzuweisen als die deutsche Sozialdemokratie, trotzdem der Parlamentarismus bekanntlich die Hochschule der Kompromisse ist und die Politik der Erfolge der natürlichen Lebhaftigkeit der politischen Partei eigentlich näher liegen sollte als der nüchternen Gewerkschaftsbewegung.

Der bevorstehende Gewerkschaftskongreß wird zeigen, wie die „ideelle Rückspiegelung“ der Krise in der Gewerkschaftsbewegung aussieht. Wir glauben die deutsche Gewerkschaftsbewegung zutreffend zu beurteilen, wenn wir erwarten, daß die schweren, entscheidungsvollen Zeiten, denen die gesamte Arbeiterbewegung in Deutschland entgegengeht, auch dieser Bewegung die vorbehaltlose Rückkehr zu den guten alten Traditionen nahelegen werden.

Leipziger Volkszeitung,
Nr. 125 vom 4. Juni 1902.

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