Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 255

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faßt noch nicht einmal das gesamte wahlfähige Industrieproletariat, das, knapp berechnet, immerhin drei Millionen Wähler zur Wahlurne stellt, und enthält zweifellos einen ganz erheblichen Bruchteil von kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Elementen. Nicht einmal auf ihren Parteitagen, der reinsten Form ihrer Lebensäußerung, tritt die Partei als einseitige Vertreterin der industriellen Lohnarbeiterschaft auf; nicht weniger als zwei Parteitage haben sich mit sauerem Schweiß um die Festsetzung eines Agrarprogramms bemüht, und auf ebenfalls zwei Parteitagen ist ein gewisser Gegensatz zwischen der Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung, die doch die gegebene Form einer ausschließlichen Arbeiterbewegung sein müßte, zur Sprache und zum Austrag gekommen. Auch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion und die Landtagsfraktionen treiben nicht einseitige Arbeiterpolitik; sie stehen der bürgerlichen Sozialreform mit äußerstem Mißtrauen gegenüber; sie haben der ganzen Arbeiterschutzgesetzgebung zu Anfang der 90er Jahre ihre Zustimmung verweigert, und sie haben auf der anderen Seite gegen Bestrebungen allgemeinpolitischer Natur, an der die Industriearbeiterschaft zunächst nur unmittelbares Interesse hat – so bei der Lex Heinze[1] – die äußersten parlamentarischen Mittel zur Anwendung gebracht. Eine bloße Arbeiterpartei könnte sich begnügen, die sozialen Funktionen des Staates zu vermehren und die übermäßige Belastung der arbeitenden Klasse durch direkte und indirekte Steuern abzuwehren, wie dies beispielsweise die Arbeitervertreter im britischen Parlament – freilich auch nicht immer – tun.

Es ist überhaupt im letzten Jahrzehnt – nicht ohne die Einwirkung der aufsteigenden Gewerkschaftsbewegung – eine Art von Mißbrauch geworden, immer einseitig den Industriearbeiter herauszukehren, von der „Hebung der Arbeiterschaft“ zu sprechen und darüber das alte Kampfwort von der „Befreiung der Arbeiterklasse“ ganz zu vergessen. Unsere geistigen Vorkämpfer haben nicht soviel von der „Arbeiterschaft“ geredet, um so mehr vom Proletariat. Zum Proletariat gehört wohl in erster Linie die Lohnarbeiterschaft als die ausgebeutete und unterdrückte Klasse sans phrase; dazu gehören aber auch Bevölkerungsschichten mit ökonomisch zwieschlächtigem Charakter, wie Kleinbürger und Kleinbauern, die, insoweit sie proletarische Interessen gegen ihre Ausbeuter und gegen die Klassenherrschaft des Staates haben, sehr wohl in die Agitation der Sozialdemokratie mit inbegriffen und in der gesetzgeberischen Tätigkeit der Partei vertreten werden können. Der Begriff des Proletariats gibt zugleich in diesem einen Wort die ganze Gesellschaftsanschauung des Sozialismus

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[1] Ein Prozeß gegen den Zuhälter Heinze von 1892 hatte im Jahre 1900 die Änderung und Ergänzung von Strafvorschriften des Strafgesetzbuches für Sittlichkeitsverbrecher zur Folge. Die wichtigsten Bestimmungen, die sogenannten Theater- und Kunstparagraphen, wurden von der Sozialdemokratie zu Fall gebracht, da sie eine freie Betätigung der Kunst, Literatur und Wissenschaft behindern sollten.