Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 231

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dessen fehlt uns nur noch die Erklärung des Genossen Vandervelde, wozu der Generalstreik eigentlich proklamiert wurde, außer um der Welt das wundervolle Schauspiel einer einmütigen Arbeitsniederlegung und einer ebenso einmütigen Rückkehr zur Arbeit zu gewähren.

Was aber in diesem Räsonnement des Genossen Vandervelde das Wichtigste, das ist der unabweisbare Schluß, daß ein Sieg des allgemeinen Wahlrechtes überhaupt nur noch auf parlamentarischem Wege, und zwar durch eine heroische Selbstüberwindung der Klerikalen, zu erwarten ist. Beruft sich doch Genosse Vandervelde in vollem Ernste auf die Äußerung des Leaders der belgischen Rechten, Herrn Woeste, der in dem angeführten Ausspruch seine Bereitwilligkeit zu jedem neuen Wahlrechtsschwindel mit einzigem Ausschluß des allgemeinen unverfälschten Wahlrechts, auf das es eben ankommt, erklärt.

Völlige Enttäuschung in der Aktion der Volksmassen und die einzige Hoffnung auf die parlamentarische Aktion, das Streben, dem Feinde einzureden, daß er eigentlich der Besiegte sei, während man von ihm soeben aufs Haupt geschlagen wurde, das Suchen nach Vorwänden für die Niederlage während des Kampfes und das Sichtrösten gleich nach der Niederlage mit der unbestimmten Zuversicht auf künftige Siege, der Glaube an allerlei rettende politische Wunder, wie das Eingreifen eines Königs, wie der politische Selbstmord der Gegner – das ist alles so typisch für die kleinbürgerlich-liberale Taktik, daß wir, ohne auch an einen notariell besiegelten Bündnisvertrag zwischen den Sozialisten und den Liberalen zu denken, durch die Argumentation des Genossen Vandervelde in unserer Annahme von der geistigen Leitung der Liberalen während der letzten Kampagne nur bestärkt werden.

Hätten wir übrigens noch Zweifel, ob unsere aus der Ferne gebildete Auffassung der Vorgänge in Belgien sachlich zutrifft, so würden sie durch den Verlauf des soeben abgehaltenen außerordentlichen Kongresses der belgischen Genossen beseitigt. Die Anträge der Sozialisten von Charleroi, worin der Beschluß des Generalrats, betreffend die Wiederaufnahme der Arbeit, bedauert und jeder Kompromiß mit bürgerlichen Parteien verurteilt wird, die Ausführungen der Vertreter der großen Bergarbeitermasse, dieser ältesten und wichtigsten Bataillone der belgischen Arbeiterarmee, beweisen, daß man auch aus nächster Nähe zu denselben Schlüssen gelangen kann, wie wir sie ausgesprochen haben.

Freilich endete der Kongreß mit einem Vertrauensvotum für den Generalrat der Arbeiterpartei, und das beweist, daß die Disziplin und das Vertrauen in die Führer unserer belgischen Partei glücklicherweise noch nicht

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