Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 23

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sten. Die Sozialisten denunzieren in der Kammer (Februar 1900) eine Reihe eklatanter Mißbräuche in der Armee – die Regierung weist jede parlamentarische Untersuchung darüber zurück. Der Radikale Vigné dʼOcton macht in der Kammer (Sitzung vom 7. Dezember vorigen Jahres) grauenerregende Enthüllungen über das Regime des französischen Militärs in den Kolonien, auf Madagaskar und in Indochina – die Regierung lehnt die parlamentarische Enquete als „gefährlich und zwecklos“ ab. Nach alledem besteigt der Kriegsminister die Kammertribüne, um von seiner heldenmütigen Verteidigung – eines Dragoneroffiziers zu erzählen, der von seinen Kollegen boykottiert wurde, weil er eine geschiedene Frau geheiratet hat:

Folgt der titanische Kampf mit dem Drachen – Geistlichkeit. Wie ein roter Faden zieht sich der Krieg mit dem Pfaffentum durch die Geschichte Frankreichs im letzten Jahrhundert. Die Dritte Republik allein hat 33 Projekte antiklerikaler Gesetze gezeitigt. Alle bisherigen Maßnahmen haben sich ohnmächtig erwiesen, weil sie nicht die Kirche im ganzen, sondern bloß einen vom Ganzen untrennbaren Teil, die Ordensgeistlichkeit, treffen und auch diese nicht durch gänzliches Verbot, sondern durch Aufzwingung der gesetzlichen Autorisation dem Staate unterwerfen wollten. Trotz aller gesetzlichen Klauseln haben die Kongregationen unter der Dritten Republik ihre Mitgliedschaft auf 200 000 erhöht und ihr Vermögen verdreifacht. Nun kommt der Axthieb der „Regierung der republikanischen Verteidigung“: Der Entwurf Waldeck-Rousseau richtet sich wieder nach alten Mustern einzig und allein gegen nichtautorisierte Orden, und zu ihrer Einschränkung wird eine gesetzliche Norm geschaffen, in der die Mönchsorden mit öffentlichen Vereinen unter einen Hut gesteckt werden und deren Anwendung gegen die Pfaffen dem guten und gegen die Sozialisten dem bösen Willen der künftigen Ministerien überlassen wird. Die autorisierten Orden mit ihren nahezu 400 Millionen Francs Vermögen, die staatlich subventionierte Weltgeistlichkeit mit ihren 87 Bischöfen, 87 Seminarien, 42 000 Pfarrern, das Kultusbudget von ca. 40 Millionen werden der Republik nach wie vor erhalten. Die Hauptmacht der Geistlichkeit liegt in ihrem Einfluß auf die Erziehung, zwei Millionen französische Kinder werden gegenwärtig in den geistlichen Schulen vergiftet und zu Feinden der Republik erzogen. Die Regierung rafft sich zusammen und verbietet den Unterricht – von nichtautorisierten Orden. Fast der gesamte geistliche Unterricht liegt aber just in den Händen der autorisierten, und durch die radikale Reform werden von den nahezu zwei Millionen ganze fünfzehntausend Kinder dem Weihwedel entzogen. Die Kapitulation der Regierung

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