Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 190

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Gegenteil in die wütendste Reaktion und Raubpolitik gegenüber der Bauernmasse stürzte.

Die „volkstümlerische“ Richtung wurde durch diese erste harte Enttäuschung in ein weiteres Stadium ihrer Entwicklung getrieben, sie kehrte ihre Spitze gegen den Zarismus und wurde zur revolutionären Partei, die auf Kosten der absoluten Gewalt die Bauerngemeinde zum Ausgangspunkt einer politischen und sozialen Umwälzung in Rußland zu machen suchte. Die Tätigkeit der berühmten „Narodnaja Wolja“ war nur der Versuch einer Vollstreckung der friedlichen Ideale der Uspenski-Literatur. Hier erwartete aber die Narodniki ein abermaliges Waterloo. Der Zarismus triumphierte über die heldenmütige Schar der „Narodnaja Wolja“, die revolutionäre Bewegung erlahmte, und das absolutistische Raubtier blieb.

Aber die grausamste Niederlage wurde der Lehre, die das ganze intelligente Rußland während dreier Jahrzehnte beherrschte, durch die stille, unmerkliche wirtschaftliche Entwicklung im Schoße der Bauerngemeinde selbst bereitet. Ihre Zersetzung unter der Einwirkung der Geldwirtschaft, die Herausbildung zweier Klassen – des ländlichen Proletariats und des kapitalkräftigen Großbauerntums innerhalb des Landvolks –, das Schwinden des auserwählten Bodens für die „eigentümliche“ geschichtliche Entwicklung Rußlands, dies alles trat bereits in den 80er Jahren mit solcher Deutlichkeit zutage, daß die literarischen Bilder Uspenskis sich immer mehr zu einer unwillkürlichen Kritik der „volkstümlichen“ Illusionen gestalteten.

Dann trat aber ein neuer und mächtigerer Kritiker dieser Lehre auf – der russische Marxismus. Nichts beweist vielleicht die Universalmacht, das Allumfassende des Marxschen Gedankens so wie die Wirksamkeit der Waffen, mit denen er die russischen Sozialdemokraten zu ihrer Revision der russischen „volkstümlichen“ Ideologie ausgestattet hatte. Ganz eigenartige Theorien, die über ein Vierteljahrhundert das ganze geistige Leben Rußlands in ihrem Banne hielten, die glänzende literarische Talente, wie Gleb Uspenski, wie Michailowski, ins Feld geführt hatten, erlagen vor der scharfen Kritik der Marxschen Lehre.

Bereits zu Anfang der 90er Jahre war der Glaube an eine besondere historische Entwicklung Rußlands geschwunden, die Ära der kapitalistischen Entwicklung wurde als eine Tatsache in Rußland allgemein anerkannt, und an Stelle des Bauern trat in den Vordergrund des Interesses aller sozialistischen Bestrebungen – der industrielle russische Arbeiter. Die Rückkehr zur geistigen Einigung mit dem Westen, die einst die russischen Hege-

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