Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 19

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konnte alle die aufgezählten Elemente aufwirbeln, den Boden für eine monarchistische Agitation aufwühlen, den Moment zur Ausführung eines Staatsstreichs schaffen – sie konnte nicht die positiven Triebkräfte des Umsturzes ersetzen, die nicht vorhanden waren. Der Monarchismus war hier der teilweise äußere Anstrich, nicht der Inhalt der Krise.

Dieser lagen ganz andere Ursachen zugrunde. Die Dritte Republik hat sich zur vollendeten Form der politischen Herrschaft der Bourgeoisie ausgebildet, zugleich aber ihre inneren Widersprüche entfaltet. Einer dieser fundamentalen Widersprüche ist der zwischen einer auf der Herrschaft des bürgerlichen Parlaments basierten Republik und einer großen, auf Kolonial- und Weltpolitik zugeschnittenen ständigen Armee. In einer starken Monarchie naturgemäß bloß zu einem gehorsamen Werkzeug in den Händen der Exekutivgewalt reduziert, hat die Armee mit ihrem ausgesprochenen Kastengeist in einer parlamentarischen Republik mit einem alle Augenblick wechselnden Regierungszentrum aus Zivilisten, mit einem wählbaren Staatsoberhaupt, dessen Amt einem jeden aus der „Bürgerkanaille“, ob gewesenem Gerbergesellen oder redegewandtem Advokaten, zugänglich ist, naturgemäß die Tendenz, zu einer unabhängigen, mit dem Staatsganzen nur lose zusammenhängenden Macht zu werden.

Die soziale Entwicklung in Frankreich, welche die Kultur der Interessenpolitik des Bürgertums so weit getrieben hat, daß sie es in Einzelgruppen zerfallen ließ, die, ohne Gefühl der Verantwortlichkeit für das Ganze, Regierung und Parlament zum Spielzeug ihres Eigennutzes gemacht haben, dieselbe Entwicklung hat auf der anderen Seite die Verselbständigung der Armee aus einem Werkzeug des Staatsinteresses zu einer Interessengruppe für sich erzeugt, die ihre Vorteile ungeachtet der Republik, trotz der Republik und gegen die Republik zu verteidigen bereit ist.

Der Widerspruch zwischen der parlamentarischen Republik und der ständigen Armee kann nur in der Auflösung der Armee in der Zivilgesellschaft und in der Organisierung der Zivilgesellschaft zur Armee, in der Ummodelung der Wehrkraft aus einem Werkzeug der Eroberung und der Kolonialherrschaft zu einem Werkzeug der nationalen Verteidigung, kurz, in der Ersetzung des stehenden Heeres durch ein Milizheer seine Lösung finden. Solange diese nicht herbeigeführt ist, macht sich der innere Widerspruch in periodischen Krisen, in Zusammenstößen der Republik mit ihrer eigenen Armee Luft, in denen die handgreiflichen Ergebnisse der Verselbständigung der Armee, ihre Korruption und Disziplinlosigkeit, an den Tag treten. Die Wilson-, Panama- und Südbahnaffäre mußten ihr Korrelat in der Dreyfus-Affäre finden.

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