gesetz, das Assoziationsgesetz, die Millerandschen Sozialreformen. Das unerschütterliche Festhalten an der Regierung ergab hier für die „neue Methode“ die Notwendigkeit, den Schwindel der „republikanischen Verteidigung“ für echtes Reformwerk auszugeben, ihren reaktionären Kern abzuleugnen, ihren fortschrittlichen Schein aufzubauschen.
Heute wirft aber die Regierung offen und in aller Form den Schein mitsamt dem ganzen Programm der „republikanischen Verteidigung“ in den Winkel. Was bleibt angesichts dessen der „neuen Methode“ übrig? In der Reihe der Selbstverleugnungen auf dem Altar des Ministerialismus noch den letzten Schritt zu tun und auch für die Programmlosigkeit der Regierung eine Rechtfertigung und Legitimierung zu finden. Das Kunststück scheint zwar etwas schwierig, nachdem man drei Jahre lang das „republikanische Programm“ zur Zentralachse Frankreichs, der Erde und der Himmelssphären gemacht. Aber die „neue Methode“ hat im harten Dienste des Ministerialismus manches Schwierige, „wenn auch nicht ohne Pein“, zu vollführen gelernt. Und so erklärt Jaurès, daß ein Regierungsprogramm jetzt ganz überflüssig, ja gar nicht möglich sei! Denn erstens ist es ja bereits ausgeführt! „Wenn man die Dinge im ganzen betrachtet, so ist das Ministerium dem Aktionsprogramm, auf Grund dessen es gebildet wurde, treu geblieben, und es hat im weiten Umfang das Werk ausgeführt, für das es geschaffen war.“ (Petite République vom 15. Januar.) Allerdings hat das Ministerium die Hauptaufgabe der „republikanischen Verteidigung“, den ersten Artikel des radikalen Programms, die Trennung der Kirche vom Staate, nicht einmal angeschnitten; freilich hat es die wilde Ehe mit dem russischen Zarismus[1] nicht gelöst, sondern erst recht fortgesetzt. Gewiß hat es auf dem Gebiet der Handelspolitik, der Koalitionsfreiheit, der Geistesfreiheit den Traditionen Mélines nirgends Abbruch getan. Aber hatte denn das Kabinett Waldeck–Millerand wirklich irgend etwas Derartiges versprochen? Jaurès kann sich beim Ehrenwort nicht einen Laut davon erinnern, er findet es deshalb sogar „ein wenig unehrlich, dem Kabinett als Verbrechen vorzuwerfen, daß es sein Programm ... nicht überschritten habe“. (Petite République vom 15. Januar.)
Zweitens aber ist ein Regierungsprogramm jetzt gar nicht möglich. Wie wollen Sie, daß ein Ministerium vor den Parlamentswahlen ein Programm aufstellt und somit riskiert, irgend jemanden zu verschnupfen, irgend je-
[1] Seit 1887 hatte sich auf Grund der französischen Anleihen, der russischen Aufträge für Frankreichs Industrie und der sich zuspitzenden internationalen Situation eine weitgehende Annäherung beider Länder vollzogen, die durch einen Konsultativpakt 1891 und eine Militärkonvention 1893 zu einem festen Bündnis wurde.