Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 16

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Reihe von wichtigen Maßnahmen, die gerade am meisten dem wohlhabenden Bauerntum, der alten Stütze des Bonapartismus, zugute kommen, sind in den beiden letzten Jahrzehnten durchgeführt worden. Die Steuerreduktionen, betreffend den Grund und Boden, belaufen sich bloß seit dem Jahre 1897 auf 25 Millionen Francs, die Steuerlast des Grundbesitzes im ganzen ist trotz der starken Vergrößerung des Reineinkommens seit 1851 absolut zirka um ein Sechstel zurückgegangen! Das System der Schutzzölle, speziell auf Vieh und Getreide, ist vor allem auf die Bereicherung des Grundbesitzes berechnet. Es kommen noch Aufwendungen von Hunderten von Millionen Francs zu Ameliorationszwecken, zum Bau von Vizinalstraßen, ferner Verbilligungen der Frachten für Bodenprodukte, Zuckerprämien usw. hinzu.

Endlich der fast gänzliche Stillstand der effektiven Sozialreform und die Verlegung des ganzen Schwerpunktes der Staatseinnahmen auf indirekte Steuern – von 1869 bis 1897 sind die Einnahmen aus Zöllen um 183 Prozent, aus dem Tabakmonopol um 49 Prozent, aus den Getränken um 84 Prozent gestiegen, bei fast völligem Stillstand der Bevölkerung! All dies beweist, daß die Dritte Republik für alle besitzenden Klassen sehr handgreifliche materielle Vorzüge aufzuweisen hat, deren Kosten am schwersten auf der einzigen nichtbesitzenden Klasse, dem Proletariat, lasten.

Zu dem Aufgezählten bleibt noch übrig hinzuzufügen, daß wie in der inneren, so auch in der auswärtigen Politik die Republik das Zeugnis ihrer Anpassungsfähigkeit in glänzender Weise abgelegt, indem sie sich durch das Bündnis mit dem Zarenreich das Oberhaupt der europäischen Reaktion, ihrer alten Feindin, zum wohlwollenden Gönner und Alliierten gemacht hat.

Die letzten dreißig Jahre sind also nicht umsonst ins Land gegangen. Die Dritte Republik hat ihren sozialen Inhalt entwickelt, und sie hat sich für Frankreich aus dem gefürchteten Gespenst der revolutionären Umstürze in die normale Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaft verwandelt.

Heute hat die Republik hinter sich das Gros der Bourgeoisie, „die Satten“, weite Kreise des Kleinbürgertums, sie hat das Mißtrauen ihres früheren Hauptgegners entwaffnet, des Bauerntums, für das sie sich als eine liebevolle Mutter erwiesen hat. Und auch diejenige Klasse, die sie wie ein Stiefkind behandelte und die ihr trotzdem in alter Treue zugetan bleibt, die Arbeiterklasse, steht heute ganz anders da als zur Zeit des ersten und des zweiten Staatsstreichs. Politisch geschult, aufgeklärt, organisiert, wenn auch in Fraktionen gespalten, stellt das heutige sozialistische Proletariat

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