Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 124

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/124

genz“ nichts „erreichen“, nämlich nichts, was sich zählen, messen oder in die Tasche stecken läßt. Aber wir „erreichen“, wie gerade das badische Experiment zeigt, auch durch die wiederholte Bewilligung des Budgets nichts Handgreifliches, es seien denn die üblichen Fußtritte, mit denen die Arbeiterklasse von dem badischen Staate regaliert wird.

Wenn wir also materiell und unmittelbar durch unsere Budgetbewilligung ebensowenig gewinnen wie durch unsere Budgetverweigerung, dann können wir mit um so leichterem Herzen verweigern, als uns die bisherige starre „Intransigenz“ einen großen immateriellen Vorteil eingebracht hat: nämlich das Vertrauen der Volkskreise und die Achtung der Gegner, die 21/4 Millionen sozialdemokratische Stimmen im Reiche und das gewaltige Ansehen einer unbeugsamen und ehrlichen Partei – lauter ideelle Größen freilich, denen wir aber in letzter Linie sowohl die gesamte deutsche Sozialreform wie alle praktischen Abschlagszahlungen verdanken, die wir bis jetzt abgetrotzt haben. Und – last not least – hat uns unsere bisherige „Intransigenz“ auch unsere verehrten sieben Landtagsabgeordneten in Baden beschert, die offenbar auf den moralischen Kredit der alten „starr dogmatischen“ Sozialdemokratie hin gewählt wurden und nicht etwa aus Rücksicht auf die besondere Befähigung Fendrichs und Genossen, die Budgets zu bewilligen, denn dies besorgt der erste beste Nationalliberale mit viel mehr Geschick und Grazie.

Nehmen wir das andere Argument: die Befürchtung, daß „die Massen“ uns nicht verstehen würden.

Es ist tatsächlich unser trauriges Schicksal, daß wir, solange wir irgendeine bestimmte Politik treiben, und mögen wir uns drehen und wenden, wie wir wollen, doch von „den Massen“, das heißt von irgendeinem Teile dieser Massen, nicht verstanden werden. Es fragt sich bloß, von wem wir verstanden werden wollen und an wessen Verständnis uns bei unserer Politik liegen muß.

Wenn die Sozialdemokratie trotz aller teilweisen Reformen, die sie vom Staate fordert und hie und da auch eventuell erreicht, dem Staate bei jeder Budgetabstimmung zum Schlusse ein hartnäckiges Nein entgegensetzt, so gibt es selbstverständlich jederzeit und allerorten Elemente in der Bevölkerung, die ein solches Beginnen verkehrt, zwecklos, widerspruchsvoll, unpraktisch, ja wahnsinnig finden werden. Aber wer sind diese Elemente? Es werden dies Kleinhändler, Handwerker, Bauern oder sonstige Kleinbürger sein, für die der ganze Zweck der parlamentarischen Tätigkeit einer Volkspartei darin besteht, die Steuerlast zu mindern, den Militärdienst zu erleichtern und dergleichen irdische Labsale auf das kapitalistische Jammer-

Nächste Seite »