Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 105

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Hindernisse der sozialistischen Einigkeit in Frankreich. Sodann kommt erst in diesem Falle, nämlich wenn eine geeinigte Partei gegen die andere steht, die Überlegenheit der disziplinierten und erfahrenen Kräfte gegenüber dem Gemisch von halben und frischgebackenen Sozialisten, der konsequenten Oppositionstaktik gegenüber der Augenblickspolitik zur vollen Geltung. Sind die revolutionären sozialistischen Kräfte geeinigt, so wird ihre Partei sofort zu einem Magnet, nach dem sich die Bewegungen der anderen soeben organisierten ganz unwillkürlich richten.

Er wäre nämlich ein Irrtum, anzunehmen, in Lyon seien lediglich alle Anhänger der sozialistischen Ministerschaft geblieben. Wenn die Föderationen der Seine und Oise, die der beiden Sèvres und der Vendée zusammen mit der Föderation du Doubs mit der Sozialistisch-revolutionären Partei den Kongreß verlassen haben, so ist eine ganze Reihe weiterer überzeugter Gegner des Regierungssozialismus, wie die Allemanisten, wie die Gruppe des „Mouvement Socialiste“, wie zahlreiche autonome Föderationen, nur deshalb in Lyon geblieben, um die Einigkeit zu verwirklichen. Es ist die Hypnose, in der sie Jaurès seit Jahren mit dem Schlagwort von der sozialistischen Einigkeit hält, die sie für den Augenblick die trennenden Momente vergessen ließ. Sobald aber die Einigkeit verwirklicht ist, werden diese trennenden Momente wieder in den Vordergrund treten. Heute sucht Jaurès noch auf die linksstehenden Elemente in seiner Partei Rücksicht zu nehmen. „Wir sind entschlossen“, schreibt er (A lʼoeuvre! In Petite République vom 1. Juni), „in der Periode des Kampfes in der Organisation, in die wir eintreten, so zu handeln, wie wenn jede Beteiligung des Sozialismus an der Regierung endgültig beseitigt wäre“, und zwar – weil die Partei noch nicht reif genug sei, um diesen vorläufig „zu revolutionären“ (!) Grundsatz des Regierungssozialismus zu erfassen. Aber daß dieses Versprechen Jaurès’ ebensowenig die Praxis seiner Richtung beeinflussen wird, wie jene im November vorigen Jahres in der Kammer abgegebene analoge Erklärung Vivianis es getan hat, dafür bürgen schon jetzt wichtige Symptome.

Es ist für die junge Partei sehr bezeichnend, daß, während sie nach links hin von den sozialdemokratischen Organisationen sehr scharf abgegrenzt ist, sie nach rechts hin, zwischen sich und den sozialistischen und bürgerlichen Radikalen, keinen Grenzrain zu ziehen vermag. Gerade jetzt sind Pelletan und seine Anhänger an die Partei Jaurèsʼ mit dem offenen und formellen Antrag herangetreten, sich zu einem radikalen Bündnis zusammenzutun, dieweil es wichtige Differenzpunkte zwischen beiden Lagern eigentlich gar nicht mehr gäbe und die Sozialisten der Millerandschen

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