Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 102

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stehen, gewissermaßen „Sozialisten auf Urlaub“ im Dienste der bürgerlichen Regierung, wie Vaillant sich geistreich ausdrückte.

Fassen wir kurz zusammen. Aus einer Konzession an die Gegner Millerands wurde die Resolution zu einer Konzession an die Anhänger Millerands, und die Blanquisten, die nach Lyon mit dem Entschluß kamen, ihrerseits die Millerand-Frage gar nicht aufzurollen, wurden plötzlich vor das Ultimatum gestellt, sich in dieser Frage auch noch einen ministerfreundlichen Beschluß des Kongresses gefallen zu lassen. Es war klar, daß eine solche Zumutung die Spaltung nach sich ziehen mußte.

Zwar wußte niemand für die Notwendigkeit der sozialistischen Einigkeit und aller Opfer um dieser Einigkeit willen überzeugender zu plädieren als Jaurès während der letzten drei Jahre. Aber er meinte offenbar nur die Opfer seitens seiner Widersacher; Millerand durfte darunter jedenfalls nicht zählen. Um den „sozialistischen Minister“ der Partei zu erhalten, wurde lieber die Einigkeit zum Opfer gebracht, und so hat die „sozialistische Ministerschaft“ ihre zersetzende Wirkung, die sie seit drei Jahren auf den Sozialismus in Frankreich ausübt, auch noch durch die Spaltung in Lyon gekrönt.

Der Lyoner Kongreß hat eine wichtige Neugruppierung der sozialistischen Kräfte in Frankreich herbeigeführt. Sein erstes Ergebnis, das wir von allen Standpunkten freudig begrüßen müssen, ist die Vereinigung aller um Jaurès gruppierten Elemente zu einer Partei.

Wenn freilich Jaurès nach dem Auszug der Blanquisten mit seinen Freunden aus dem Kongreß erklärte, „das sozialistische Frankreich sei nicht vermindert worden durch den Fortgang einer Sekte“, ebenso wie das unter seiner Mitwirkung verfaßte Manifest der jungen geeinigten Partei im Namen des ganzen sozialistischen Frankreichs spricht, so ist das lediglich damit zu erklären, daß Jaurès – allerdings zum ersten Mal – das Maß und Gleichgewicht verloren hat, was bei einem Politiker seines Stils stets ein schlimmes Zeichen ist. „Die Sekte“, die den Lyoner Kongreß verlassen hat, bildet zusammen mit der dem Kongreß ferngebliebenen Arbeiterpartei die Kerntruppe des französischen Sozialismus, die vorzüglichsten, geschulten, organisierten und im jahrzehntelangen Kampfe erprobten Kräfte. Was dagegen in Lyon geblieben ist, stellt vor allem ein sehr buntes Sammelsurium dar: Neben ehrlichen und überzeugten, aber jungen und unerfahrenen Akademikern finden wir da „sozialistische“ Organisationen in der Art jener in Lyon vertretenen Marseiller Gruppe, die zu ihren Mitgliedern den Opportunisten und ehemaligen Minister des Dupuyschen

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