Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 100

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prinzipieller Bedenken unmöglich gemacht wurde. Zugleich wird aber die Ministerfrage für den gegebenen Fall in präzisester Weise gelöst, indem ein Sozialist, der in die Regierung eingetreten ist, als eo ipso aus der Partei ausgeschieden hingestellt wird. Mit einem Worte: Die Resolution spricht in der Ministerfrage das knappe Minimum aus, das jedoch den Knoten der Frage glatt mitten durchhaut.

Die Resolution de la Porte bot somit in unerwarteter Weise eine vollkommen befriedigende Erledigung der ersten Schwierigkeit der Einigung. Wäre sie vom Kongreß akzeptiert worden, so verschwanden dadurch freilich noch nicht all die tiefliegenden Gegensätze in der Auffassung von der sozialistischen Taktik, die leicht in den weiteren Auseinandersetzungen zum Ausbruch gelangen konnten. Die Millerand-Frage jedoch wäre vollkommen beiseite geschoben gewesen. Der „sozialistische Minister“ hätte jedenfalls offiziell für die Partei zu existieren aufgehört.

Aber gerade darin lag das Gefährliche der Resolution de la Porte vom Standpunkt der Anhänger Millerands um jeden Preis, und Jaurès zeichnete sich seit jeher durch ein wunderbares Talent aus, ihm gefährliche Absichten aufzudecken wie augenblicklich zu durchkreuzen. Eine Kommissionsberatung „zur reiflichen Überlegung“ und Vermeidung von „Überraschungen“ in einer Frage, die seit drei Jahren tagtäglich diskutiert wird, bot die Gelegenheit, alle Unterzeichner der Resolution mit Ausnahme de la Portes selbst zum Umfall und zur Preisgebung ihres Antrags zu bringen und der Resolution im Handumdrehen den Giftzahn auszuziehen. Briand änderte nur zwei Worte in dem ursprünglichen Texte: statt „außerhalb der Partei“ habe sich Millerand „außerhalb der Kontrolle der Partei“ gestellt, aber durch diese kleine Änderung wurde die Resolution de la Porte in ihr Gegenteil verkehrt.

Vor allem wenn Jaurès und seine kritiklosen Nachbeter darauf hinweisen, daß die Resolution Briand Millerand „außerhalb der Parteikontrolle“ stellt und diese für sein Tun gar nicht verantwortlich erklärt, so ist das nur darauf berechnet, der Resolution aus Rücksicht auf die in Lyon stark vertretenen „antiministeriellen“ Elemente den Anschein einer Konzession an sie zu geben. Tatsächlich wurde hier nur wiederholt, was Jaurès selbst unzählige Male schrieb, ja was noch das „Comité dʼentente“ vom Jahre 1899 offiziell erklärt hatte. Eine neue Erklärung gegen Millerand war damit also nicht im geringsten gegeben.

Was die Resolution de la Porte Neues enthielt, war gerade, daß sie aus jener Tatsache die Konsequenz zog und zum ersten Male erklärte, Mille-

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