Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 85

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gen, bis jetzt umsonst gewesen sind. Dieser Umstand allein genügt, um die „praktische Seite“ der badischen Landtagstaktik ins rechte Licht zu rücken. Die Existenzmittel einem Staate bewilligen, der dem sozialdemokratischen Kampfe in jeder Form Knüppel zwischen die Beine wirft, der seine eigenen Lohnsklaven unverschämt ausbeutet und für ihre bescheidensten Forderungen taube Ohren hat, einem Staate, der der Arbeiterklasse sogar das elementarste politische Recht, das allgemeine, direkte Wahlrecht, verweigert – das ist gewiß das denkbar originellste Mittel, sich Macht und Einfluß auf die Politik des Staates zu verschaffen. Es ist eine ständig zu beobachtende Tatsache, daß die Sozialdemokratie, sobald sie den festen Boden der prinzipiellen Politik verläßt, viel tiefer sinkt als die bürgerlichen Parteien. Wir möchten nämlich diejenige bürgerliche Partei sehen, die, wenn ihr eine derartige Behandlung zuteil würde wie der Sozialdemokratie in Baden, der Regierung ein Vertrauensvotum zu Füßen legen möchte. Wenn die Bourgeoisie an ihren eigenen Grundsätzen Verrat übt, so weiß sie wenigstens stets, weshalb sie’s tut, so sieht sie dabei jedesmal auf das mehr oder minder fette Linsengericht hin, das ihr gewährt wird. Aber sich in ganz uneigennütziger Liebe hinwerfen, um damit Ohrfeigen und Fußtritte zu quittieren – das blieb ausschließlich dem genialen staatsmännischen Sinne unserer „praktischen Politiker“ vorbehalten. Es ist hier wie sonst nur Selbsttäuschung und Selbstüberschätzung, wenn sie sich einbilden, Prinzipienlosigkeit aus praktischer Berechnung zu üben. Was sie tatsächlich betreiben, ist bloß Prinzipienlosigkeit ohne jeden praktischen Zweck, genauer Prinzipienlosigkeit aus Prinzip.

Der Fall in Baden bietet einen erwünschten Anlaß, um in die Taktik mancher unserer Landtagsfraktionen hineinzuleuchten. Und wenn Fendrich und Genossen beteuern, daß sie ihre Taktik „unter strengster Wahrung der Parteigrundsätze“ befolgen, so wird es Sache der Partei sein, ihnen bei der nächsten Gelegenheit klarzumachen, daß die Bewilligung der Mittel an einen bürgerlichen Klassenstaat unter strengster Wahrung der sozialdemokratischen Grundsätze ebensoviel heißt wie zum Beispiel Krieg unter strengster Wahrung der Nächstenliebe, Diebstahl unter strengster Wahrung des Eigentumsrechtes, Prostitution unter strengster Wahrung der Tugend.

Die Neue Zeit (Stuttgart),

19. Jg. 1900/01, Zweiter Band, S. 14-20.

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