Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 73

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opportunistischen Taktik des Sozialismus, für das anderswo alle Voraussetzungen fehlen. In Deutschland erscheint es sowohl angesichts der politischen Verhältnisse des Landes wie angesichts der organischen und theoretischen Geschlossenheit der Sozialdemokratie ausgeschlossen, daß die Anhänger dieser Taktik in die Lage kommen, die Arbeiterbewegung nach eigenen Theorien zu modeln und so ihre Tendenzen in die Tat umzusetzen. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Phrase von der „praktischen Arbeit“ zu kultivieren, ohne auf die Gestaltung dieser letzteren nennenswerten Einfluß zu gewinnen.

In Frankreich sehen wir heute den Opportunismus in der Aktion. Durch ausnahmsweises Zusammentreffen eigenartiger Momente in der Entwicklung der Arbeiterbewegung wie der bürgerlichen Gesellschaft ist er plötzlich zur Macht geworden. Die Phrase von der „praktischen Arbeit“ ist an der Arbeit, der Kartenkönig ist plötzlich zum wirklichen König geworden. Er hat den Herrscherstab in der Hand, er kann zeigen, was er kann.

Und er zeigt es.

Zur Hälfte hat er sich schon kompromittiert, bald dürfte er sich bis auf die Knochen blamieren. Die Erfahrungen mit dem Ministerium Waldeck–Millerand sind geeignet, der gesamten internationalen Sozialdemokratie die Lust an opportunistischen Experimenten zu verderben. Wir wünschen ihm deshalb ein langes Leben!

Die Neue Zeit (Stuttgart),
19. Jg. 1900/01, Erster Band,

I: S. 495-499,

II: S. 516-525,

III: S. 548-558,
IV: S. 619-631,
V: S. 676-688.

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