Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 613

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hergesehene“ Erhöhung ihrer Kosten gewissermaßen dem Volke ohne weiteres wie eine Pistole auf die Brust gesetzt wird. Die Reichstagsdebatten, die Annahme und die Festlegung neuer Flotten- und Militärgesetze verwandeln sich dadurch in eine schale Farce, an der die „liberalen“ Vertreter des parlamentarischen Kretinismus Geschmack finden mögen, die aber der Arbeiterklasse nur Ekel und Abscheu einflößen kann. Und nun gerade, angesichts der grandiosen ersten Probe auf eine revolutionäre Massenaktion des modernen Proletariats in Rußland, findet die deutsche Regierung nichts Besseres zu tun, als den deutschen Parlamentarismus vor aller Welt wieder einmal zu verhöhnen, dem deutschen Proletariat mit einem Fingerzeig auf den Tempel der bürgerlichen „gesetzgebenden“ deschwätzigkeit wieder einmal deutlich zuzurufen: Laß alle Hoffnung fahren! Wenn eine hochwohlweise Aktion extra dazu angetan war, in der Arbeiterklasse Deutschlands noch mehr das Augenmerk, die Sympathien, die Hoffnungen von der rein parlamentarischen Reformaktion auf die direkte Massenaktion zu wenden, dann ist es sicher die neue Flottenvorlage!

Und noch eins! In keinem Stück der heute geltenden Reaktionspolitik des Deutschen Reiches ist der enge Zusammenhang mit der Monarchie, mit dem persönlichen Regiment so stark und so klar zum Vorschein gebracht wie gerade in der weltpolitischen Schwärmerei. Das deutsche Proletariat weiß zu gut, daß es „unsere herrliche Flotte“ demselben Kurs verdankt wie die unvergeßliche Zuchthausvorlage[1]. Und nun meldet sich dieses spezielle Schoßkind des persönlichen Regiments, der Zwillingsbruder des deutschen Militarismus: die Flottenpolitik, wiederum in einem Augenblick, wo von Rußland her das ganze brandende Stimmengewirr der Revolution immer mehr und mehr von dem mächtigen Donnerruf übertönt wird: Es lebe die Republik!

Die neue Flottenvorlage, „nehmt alles nur in allem“, ist ein schlagender Beweis, daß die herrschende Politik in Deutschland blindlings mit verhängten Zügeln drauflosstürmt, ohne die geringste warnende Ahnung von den großen und gewaltigen Dingen zu haben, die da ringsherum vor sich gehen. Denn mit der einen Warnung hätte schließlich die russische Revolution den leitenden Politikern und Parteien Deutschlands doch dienen sollen: Sie hat gerade in den letzten Tagen gezeigt, daß in jenen großen historischen Momenten, wo das Maß voll wird und nach Hegelschem Ausdruck „die Quantität in die Qualität übergeht“, auch der innere zwiespältige Charakter des Militärs umschlägt, der Soldat und Matrose wird aus

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[1] Siehe Bd. 1/1, S. 439, Fußnote 8.