Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 593

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/593

der Taktik und der Organisation gefaßt hat. Wir stehen nun somit der Tatsache gegenüber, daß die russische Partei nach wie vor in zwei Lager gespalten ist, die selbstverständlich, da beide Teile auf dem Baden desselben Programms und im großen und ganzen derselben Taktik stehen, zusammengehören. Und mögen wir diese Tatsache noch so bedauern, über sie noch so tiefen Groll empfinden, so ist es doch notwendig, jedenfalls mit der Spaltung als mit einer Tatsache zu rechnen. Am allerwenigsten wird der bedauerliche und tieftraurige Streit in der Weise aus der Welt geschafft, daß eine der beiden Fraktionen sich partout als die Partei, als die einzige offizielle Vertreterin der russischen Sozialdemokratie auszugeben und die andere als bloß ein Häuflein von unverbesserlichen Krakeelern hinzustellen sucht.

In dieser Weise ist nämlich die Kongreßfraktion (die sogenannte Leninsche) verfahren, indem sie ihre Beschlüsse und Resolutionen als Ergebnisse des offiziellen III. Parteitags der russischen Sozialdemokratie in deutscher Sprache herausgegeben und dem deutschen Publikum vorgelegt hat. Wie, nebenbei gesagt, unser Parteiverlag in München dazu kam, sich hierbei in den Dienst einer der streitenden Fraktionen zu stellen, ist uns eigentlich unklar, beruht aber wohl auf ungenauer Orientierung über die Situation im russischen Lager. Doch wie dem auch sei, sucht auf diese Weise eine der beiden Gruppen der russischen Bruderpartei so ziemlich das Unklügste zu unternehmen, was sie in der gegebenen Lage tun könnte, nämlich sich gewaltsam unter Beiseiteschiebung ihrer Rivalin sozusagen den Platz und die Anerkennung in der Internationale zu erzwingen. Daß diese etwas kosakische Art, einen Parteizwist zu lösen, wie sie ein wenig überhaupt das Verfahren und die Auffassung der betreffenden Fraktion leider kennzeichnet, nicht geeignet ist, die russischen Parteiverhältnisse zu sanieren, sondern umgekehrt, bloß das Feuer noch zu schüren, ist ja für jedermann klar. Es war deshalb u. E. ein kluges und anerkennenswertes Wort von Kautsky, als er neulich in der „Leipziger Volkszeitung“[1] auf Grund seiner Kenntnis der Personen und der Dinge in der russischen Sozialdemokratie die Parteipresse warnte, durch Übernahme und unwillkürlich verkehrte Glossierung der quasi offiziellen Beschlüsse des russischen Fraktionskongresses die Situation in den Reihen unserer russischen Genossen wider Willen zu komplizieren und zu erschweren.

Nun passiert aber ein drolliges Quiproquo. In der „Frankfurter Volksstimme“ vom 17. Juni tritt ein Genosse „gr.“ hervor, um die deutschen

Nächste Seite »



[1] Karl Kautsky: Die Spaltung der russischen Sozialdemokratie. In: Leipziger Volkszeitung. Nr. 135 vom 15. Juni 1905.